Der frühe Vogel kann mich mal: Ein Lob der Langschläfer (German Edition)
sondern es ist das System, das sie kaputtmacht.
Besonders deutlich wird diese Misere an den Stundenplänen in deutschen Schulen. Schon seit langem mahnen Schlafforscher, dass der frühe Schulbeginn die Leistungen der Schüler eher mindere als fördere. Gerade bei Heranwachsenden wird nämlich eine biologisch bedingte Veranlagung zum Langschlafen noch durch hormonelles Chaos verstärkt. Kinder und Jugendliche, die nicht früh zu Bett gehen wollen, sind keinesfalls immer unvernünftige Rebellen, sondern folgen nur ihrem natürlichen Empfinden. Das Schulsystem jedoch ist auf Eltern und Lehrer abgestimmt, bei denen die pubertären Schwankungen längst ausbalanciert sind. Nur so ist zu erklären, dass diese Frühaufsteher-Lobbyisten, allen voran der Deutsche Philologenverband , den Vorstoß von Baden-Württembergs ehemaligem Ministerpräsidenten Günther Oettinger torpedierten, den Schulbeginn um eine halbe, wenn nicht sogar um eine Stunde nach hinten zu verlegen. Ihre Argumente zielen auf einen Mangel an Mittagsversorgung und -betreuung, doch der eigentliche Grund der Ablehnung war offenbar der, dass sie mit der derzeitigen Ordnung ganz zufrieden waren – und die Vorteile eines langen, freien Nachmittags weiterhin nicht missen wollten. Dann haben sie nämlich gemeinhin ihr Leistungstief und wollen sich ausruhen ….
Der Verdacht liegt nahe, dass ausgerechnet diejenigen, die über den Beginn des Unterrichts zu entscheiden haben, so disponiert sind, dass sie morgens federleicht aus dem Bett kommen. Denn wer, ausgenommen ein bekennender Masochist, würde freiwillig Lehrer werden und riskieren, ein Arbeitsleben lang pünktlich morgens um acht antreten und sich vor eine Gruppe mürrischer Menschen stellen zu müssen, die ihm allein wegen ihrer unfreiwilligen Müdigkeit das Leben schwermacht? Oder Politiker? Wer morgens um sechs bereits dem Deutschlandfunk unfallfreie Interviews zu Atompolitik, Volkswirtschaft und globaler Krise geben kann, kann gar nicht einfühlsam genug sein, um sich in die Lage von Langschläfern zu versetzen. Es ist wie bei Links- und Rechtshändern: Wäre die Mehrzahl unter uns Linkshänder, wäre die Welt von den Politikern danach ausgerichtet. Autos, Scheren, Tastaturen – alles hätte einen Linksdrall.
So aber werden die Langschläfer (und gerade Jugendliche tendieren aufgrund der Entwicklungsphase, die sie durchleiden, fast allesamt zum Eulentum) von frischfrommfröhlichfreien frühaufstehenden Lehrern und Politikern in ein Leben gezwungen, das sie nötigt, zu Zeiten wach zu sein, in denen sie noch nicht einmal ihren Namen buchstabieren können.
Ein Beispiel von besonders grausamer Härte gab Holger Schwannecke, der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks . Kurz nach seinem Antritt im Januar 2010 jammerte er medienwirksam in einer großen Boulevardzeitung über die Schulabgänger, über deren lückenhafte Sprach-, Schreib-, Lese- und Rechenkenntnisse und schlechte Vorbereitung auf das Berufs- und Arbeitsleben. Er unterstrich seine Behauptung, dass der Nachwuchs schlecht ausgebildet sei, mit der Aussage: »Viele Schulabgänger kommen morgens nicht aus dem Bett.« [9] Stimmt, möchte man ihm zurufen, das ist nämlich völlig normal und hat nichts mit Charakterschwäche oder mangelndem Willen zu tun. Denn die jungen Leute können nichts dafür – ihre Hormone geben ihnen das vor, ihre innere Uhr, ihr biologischer Rhythmus. Für die meisten Jugendlichen sind daher ein früher Schul- oder Arbeitsbeginn eine Qual. Schlafforscher Christoph Randler warnt: »Die Mehrzahl der Schüler und Studenten ist da einfach noch nicht wach. Wer morgens halb acht in eine zehnte Klasse oder einen Hörsaal schaut, dem tut sich nämlich ein schreckliches Bild auf.« [10] Sinn ergibt das frühe Aufstehen nur bei denjenigen, die darauf gepolt sind, morgens zu singen. »Das heißt allerdings keinesfalls, dass die intelligenter sind, systematischer oder disziplinierter gelernt haben. Es heißt nur, dass diese jungen Leute das Glück hatten, in jenen Stunden des Tages herausgefordert zu werden, in denen sie munter waren.« [11]
Die Jugendlichen können also selbst beim besten Willen nichts daran ändern, dass sie morgens müde aus der Wäsche gucken. Leute wie Holger Schwannecke könnten hingegen schon was ändern. Denn was spräche gegen einen späteren Arbeitsbeginn in den Handwerksbetrieben? Aus Sicht der Lerchen bestimmt einiges, doch sie sind nicht die Mehrheit. Es wäre zum Vorteil für den
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