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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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schon ein wenig merkwürdig. Durch die Scheiben der beiden Fenster verfolgte er die langsamen Bewegungen, in die er sich vor über einem Jahr verliebt hatte. Ihre Gesten, das Lesen, das Sticken. Und doch hätte er sich ihr nicht nähern können: Den Mann, der angesichts der schamlosesten Verbrechen keine Miene verzog, versetzte schon die bloße Vorstellung in Angst und Schrecken. Einmal hatte er ganz zufällig vor ihr gestanden, vor ein paar Monaten, am Gemüsewagen, und hatte auf beschämende Weise Reißaus genommen, eine Brokkolispur hinter sich zurücklassend. Sie hatte ihn angesehen, den Kopf zur Seite geneigt, wie er es so gut von ihr kannte, die Augen hinter der runden Hornbrille zusammengekniffen. Und der Mann ohne Furcht war geflohen.
    Wenn du nur wüsstest, Liebste. Wenn du es auch nur ahnen könntest.
    Stickend und lächelnd und mit zur Seite geneigtem Kopf dachte Enrica an etwas, das Ricciardi nie erahnt hätte.
    Sie dachte an das Keulen-Pferd.
IX
    Die Bühne, den Staub, das Licht: Genau das will ich spüren, will ich atmen. Als Kind war ich arm, litt unter Kälte und Hunger; aber schon damals wusste ich, dass sie mir applaudieren würden, dass ich sie verblüffen, mitreißen würde. Ich weiß, dass ich schön bin, schon immer schön war. Meine Mutter hat’s mir als Erste gesagt, und später hat es sich oft bestätigt.
    Die Schönheit war auch mein Verhängnis, hat mich eingeschränkt. Ich gefalle den Frauen und die Männer vergehen vor Eifersucht. Das Leben ist ein Bühnenstück, sagt meine Mutter: Auf ihre Art spielt auch sie Theater. Ach Attilio, sagt sie zu mir, wie oft hab’ ich den Leuten was vorgemacht, du hast ja keine Ahnung. Und applaudieren tue ich mir selbst, mit dem Geld, das ich kassiert habe. Mach’s wie ich: Das Geld ist der Beifall.
    Das sagt Mutter, aber ich sehe es anders. Meiner Meinung nach müssen dir, wenn du gut bist, alle zujubeln: Es kann doch nicht sein, dass ein einziger eingebildeter Gockel sich deinem verdienten Erfolg in den Weg stellt. Dann werde ich mir eben eine eigene Truppe kaufen und, wenn nötig, sogar ein ganzes Theater.
    Dann werden wir ja sehen.

    Concetta Iodice stand an dem kleinen Fenster zur Gasse. Es war spät, Tonino hätte bereits seit über einer Stundezurück sein müssen, die Pizzeria war schon lange zu. Er hatte sie nach Hause geschickt, weil er noch eine Besorgung zu machen hatte. Sie hätte ihrem Mann niemals widersprochen, aber nun war sie in großer Sorge.
    Assunta, ihre alte Schwiegermutter, stellte sich zu Concetta ans Fenster.
    »Die Kinder schlafen. Von ihm noch keine Spur?«
    Ohne sich umzudrehen, verzog die Frau den Mund und hob den Kopf. Die Angst schnürte ihr die Brust zu, jeden Augenblick ein wenig mehr. Die Schwiegermutter legte ihr eine Hand auf die Schulter, sie drückte sie sachte. Gemeinsame Liebe, gemeinsamer Schmerz.
    Als sie ihn um die Ecke biegen sah, stieg Erleichterung in ihr auf, allerdings nur für einen kurzen Moment. Tonino ging schleppend und mit hängenden Schultern. Er wirkte wie ein alter Mann. Concetta lief zur Tür, öffnete sie; hinter ihr, im Schatten, knetete Assunta sich die Hände. In der Stille des alten, dunklen Hauses waren langsame Schritte auf der Treppe zu hören. Der letzte Treppenabsatz. Concetta suchte die Augen Toninos, schwankend zwischen dem Wunsch und der Angst, in sie hineinzublicken.
    Blass, verschwitzt, mit unter der Mütze an der Stirn klebenden Haaren, starrte Tonino ins Leere. Er ging an seiner Frau vorbei, drückte ihr sanft den Arm. Sie spürte die Wärme, die von seiner Hand ausging.
    »Mir geht’s nicht gut, hab’ ein bisschen Fieber, glaub’ ich. Ich leg mich ins Bett.«
    Concetta blickte zu Boden, wo ihr Mann gerade entlanggegangen war. Er hatte eine Spur zurückgelassen, wie von nassen Schuhen.

    Gaetano und Rituccia waren zusammen aufgewachsen. Obwohl sie kaum die Pubertät erreicht hatten – er war fast dreizehn, sie zwölf –, brauchte man ihnen bloß in die Augen zu sehen, um ihr Alter zu erraten. Beide waren uralt. Alt durch ihre Erinnerungen an das, was sie erlebt hatten und jeden Tag aufs Neue erlebten.
    Die glücklicheren Zeiten, als sein Vater und ihre Mutter noch lebten und sie aufgeregt plappernd auf den Stufen der Kirche Santa Maria delle Grazie saßen, um zwischendurch die zur Mittagsmesse eilenden alten Frauen um Kleingeld zu bitten, lagen weit zurück. Seitdem Gaetano als Maurerlehrling arbeitete, fanden sie kaum noch Gelegenheit, sich zu unterhalten; sie brauchten

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