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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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aber auch keine Worte, weil sie ihre ganz eigene Art hatten herauszufinden, ob es etwas Neues gab: Die Falte zwischen Gaetanos Augen sprach Bände, genauso wie Rituccias Mundwinkel. Sie waren wie ein altes Ehepaar, das sich gut genug kennt, um per Zeichensprache miteinander kommunizieren zu können.
    Abends vor dem Nachhausegehen saßen sie auf dem Boden am Eingang zur Galleria Umberto. Schweigend machten sie sich Mut, den Heimweg anzutreten.

    Concetta saß auf einem Stuhl neben dem Bett und sah Tonino Iodice, dem Inhaber der gleichnamigen Pizzeria, dabei zu, wie er sich im Schlaf abmühte. Er wälzte sich umher, jammerte, deckte sich auf und wieder zu. Sein Gesicht war fahl, die Haare klebten an der schweißnassen Stirn, die Lippen hatte er zu einer Grimasse verzogen. Vielleicht träumte er. Concetta versuchte zu verstehen, ob er etwas sagte, hörte aber nur ein Wimmern. Seufzendstand sie auf, darauf bedacht, keinen Lärm zu machen. Sie nahm Toninos Jacke, um sie in den Schrank zu hängen. Dabei lächelte sie, ohne es zu merken; sie dachte daran, wie unordentlich ihr Mann von jeher war und wie oft sie Kleidungsstücke aufsammeln musste, die im Haus herum verstreut lagen. Aus der Jackentasche fiel ein Blatt Papier. Concetta bückte sich, um es aufzuheben.
    Sie konnte nicht lesen, verstand aber, dass es sich um einen Wechsel mit Toninos Unterschrift handelte. Unübersehbar, wie ein Poststempel, prangte darauf ein fetter roter Abdruck. Sie drehe sich abrupt zu ihrem schlafenden Mann um und starrte entsetzt auf seine große Hand, die Hand eines ehrlichen Arbeiters, an deren Fingern geronnenes Blut klebte.
X
    Auch bei offener Tür war es nicht sehr hell. Es herrschte Stille, nur hier und da quietschten Fenster in den Angeln, wenn die frische Luft hineinwehte. Die Klinge des Messers sandte einen Lichtblitz aus, den niemand sah. Es folgte kein Laut der Klage.

    Donna Vincenza trat aus der Eingangstür ins Freie; draußen zog sie sich den Schal fester um den Kopf. Mit dem Nachttopf in der Hand kam sie an der verschlossenen Kellerwohnung Racheles vorbei und dachte an die bemitleidenswerte Frau, die ein Jahr zuvor gestorben war und ihr Töchterchen viel zu jung zurückgelassen hatte. Na ja, besser sie als ich.
    Sie ging ein paar Meter weiter in Richtung des Einlaufschachts, der die Senkgrube abschloss. Da bemerkte sie,dass die Wohnungstür der Hure einen Spalt breit offen stand; merkwürdig, Donna Vincenza wusste, dass der Junge als Erstes das Haus verließ. Dann erst ging das Flittchen zum Laden in der Via Toledo, um wer weiß welche Familie kaputtzumachen.
    Die Frau konnte ihrer Neugier nicht widerstehen und näherte sich der schmalen Öffnung. Sie legte die Hand auf den Türpfosten und die Tür ging auf. Vorsichtig schaute sie herein. Sobald sie wieder Luft bekam, begann sie zu schreien.

    Der Brigadiere Maione schritt zügig voran. Nicht, dass er spät dran gewesen wäre, im Gegenteil, es war noch früh für ihn. Er ließ die Dinge gerne gemütlich angehen: den Malzkaffee zubereiten, die Polizisten einteilen, den Leuten ihre Aufgaben für den Tag zuweisen. Aber sein Schritt war schnell, weil er nicht gern trödelte und weil er schwer war und es bergab ging.
    Der Schrei zerschnitt die Luft, die er einatmete, ebenso wie jeglichen Gedanken: ein Schrei des Entsetzens – Maione hörte so etwas heraus –, kein Schrei im Streit oder aus Verzweiflung. Der Ton vibrierte in seinen Ohren, noch zeigte sich kein Neugieriger an den Fenstern, und schon stürzte Maione in die Richtung des Lärms, die Hände zu Fäusten geballt. Polizist bleibt Polizist. Niemals hätte er sich gesagt, ach komm, was geht’s dich an.
    Es war die Stimme einer Frau, sie kam vom Vico del Fico her. Er war als Erster zur Stelle und sah eine alte Frau mit Kopftuch, die sich die Hand auf den Mund presste, einen zersprungenen Nachttopf neben Rinnsalen von Urin, die halboffene Tür einer Kellerwohnung. Er folgtemit den Augen dem Blick der Frau und versuchte dabei, möglichst viele Details zu erfassen: von innen geöffnete Tür, zurückgeschobener Riegel; drinnen Stille, keinerlei Bewegung. Ein halber Fußabdruck, vielleicht von einem Männerschuh, zwischen dem Fußboden und der Straße, schwarz. Warum schwarz? Den Grund sollte er gleich verstehen.
    »Rühren Sie sich nicht von der Stelle, bleiben Sie hier, Signora. Haben Sie jemanden herauskommen sehen?«
    Donna Vincenza, die immer noch entsetzt war, schüttelte den Kopf. Maione betrat die Türschwelle und

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