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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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einen Kaffee machen, wo du schon mal da bist, und mach’ für dich auch einen Liter, damit du wach wirst. Komm dann schnell zu mir ins Büro, wir haben zu tun. Ich hab’ mir dasselbe gedacht.«

    Ruggero Serra di Arpaja, ein namhafter Jurist, Universitätsprofessor, Protagonist des gesellschaftlichen Lebens in Neapel und einer der reichsten Aristokraten der Stadt, saß auf dem mit Satin bezogenen Sessel in seinem Schlafzimmer und weinte. So geht es einem wohl, dachte er, wenn man eine so viel jüngere Frau heiratet. Wenn man das Bedürfnis hat, geliebt zu werden und dann nicht mehr ohne diese Liebe auskommt. Wenn man fünfzig Jahre alt ist, ohne gemerkt zu haben, wie die Zeit verstreicht. Wenn man keine Kinder hat. Wenn man vergessen hat, was esbedeutet, allein zu sein. Wenn man keine Freunde hat, sondern nur illustre Kollegen.
    Er schauderte beim Gedanken an seine Einsamkeit, er hatte das Gefühl, sich auf dem Gipfel eines Berges zu befinden, und weit und breit war kein Weg, den er einschlagen konnte, um Hilfe zu holen. Doch die brauchte er dringend. Er, der so lange studiert hatte, seinen Mandanten stets aufgezeigt hatte, wie sie sich aus einer verzwickten Rechtslage befreien konnten, sah für sich selbst keine Lösung.
    Und dabei, dachte er, hatte er alles sorgfältig vorbereitet – es wäre ein Musterbeispiel für vorsätzliches Handeln gewesen. Ein Vertrag, zwei Leistungen, eine Zahlung. Doch was tun, werte Studenten, wenn man keine Möglichkeit hat herauszufinden, ob die vereinbarte Leistung auch tatsächlich erbracht wurde?
    Ihm fiel auf, dass auf dem Teppich noch die Abdrücke seiner Schuhe vom Tag zuvor zu sehen waren. Er würde das Dienstmädchen anweisen sauber zu machen. Oder vielleicht sollte er es ausnahmsweise einmal selbst tun.

    Auf den Treppenstufen zur Kirche Santa Maria delle Grazie, ihrem gemeinsamen Platz, wartete Rituccia auf Gaetano. Die Hände des Mädchens lagen ruhig in seinem Schoß, es saß da wie eine Dame, die einen Tee bestellt hat. Gaetano hatte ihr gesagt, dass er seinen Meister um Erlaubnis bitten würde, ein wenig später zur Arbeit kommen zu dürfen, damit er noch mit ihr reden konnte. Wie früher. Denn seit er arbeitete und sie den Haushalt führen musste, trafen sie sich so gut wie gar nicht mehr.
    Sie sah ihn schon von weitem, in seinem typischen,schaukelnden Gang, mit dem sie ihn schon oft aufgezogen hatte. Er wurde dann immer wütend: Gaetano mochte keine Witze. Rituccia rückte auf ihrer Stufe ein wenig zur Seite. Er sah sie an.
    »Schon wieder?«
    Sie senkte den Blick. Er ballte die Faust und schlug sich mit stummer Kraft aufs Bein. Es war seine Art, sich Luft zu machen.
    »Ich bring’ ihn um. Diesmal bring’ ich ihn um.«
    Rituccia sagte nichts. Den Blick immer noch zum Boden gerichtet, streckte sie die Hand nach Gaetanos Knie aus und berührte es leicht. So blieben sie lange Zeit sitzen. Er atmete schwer, die Augen in seinem braungebrannten Gesicht waren gerötet.
    »Und du?«, fragte sie, wobei sie ihn direkt ansah.
    Gaetano deutete nach einem kurzen Augenblick ein Ja mit dem Kopf an und senkte den Blick auf die Stufe. So blieben sie schweigend sitzen. Nach einer Weile begann Gaetano zu reden.
    »Da ist so ein Polizist. Er war gestern Abend bei ihr.«
    Rituccia fuhr zusammen und drückte seine Hand. In ihrem Blick lag eine Beunruhigung, die an Schrecken grenzte.
    »Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen. Er sieht sie auf die übliche verzauberte Art an. Ob Gangster oder Polizisten, ganz egal. Alle haben sie denselben Blick.«
XXII
    Doktor Modo tauchte in der Tür auf, die von den Sezierzimmern in den Wartesaal führte, wo er Ricciardi und Maione antraf, die eben vom Präsidium hergekommen waren. Er trocknete sich gerade die Hände mit einem Tuch ab und sein Kittel war voller unzweideutiger Flecken.
    Aus irgendeinem Grund wirkte er wie ein kleiner Junge, der gleich zum Fußballspielen auf die Straße will.
    »Oh, welch nette Gesellschaft. Willkommen, Freunde: Seid ihr hier, um mich zum Frühstück abzuholen?«
    Dabei lachte er breit und zufrieden.
    Ricciardi musterte ihn.
    «Ganz genau. Aber vielleicht ziehst du erst mal deine Schlachteruniform aus. Schon wenn wir zwei vorbeigehen, drehen die Leute sich zur anderen Seite und bedenken uns mit sehr unschönen Gesten. Da fehlt’s gerade noch, dass wir mit Doktor Frankenstein über die Pignasecca schlendern.«
    »Genau der Ricciardi, den ich so liebe: immer fröhlich, optimistisch und unbekümmert – wie ein Leser

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