Der Fruehling des Commissario Ricciardi
leichter Lektüre. Hast du es mal mit der Invernizio oder mit dieser Liala versucht? Oder mit Pitigrilli? Den lesen doch all die Deppen, die sich für Euer Regime begeistern.«
»Mein lieber Herr Intellektueller, nur zu deiner Information: Erstens fehlt mir zum Lesen die Zeit und zweitens bin ich immer noch optimistischer als du, der die Zukunft schwärzer sieht als die Gegenwart. Komm, ich geb’ dir einen Kaffee und eine Sfogliatella aus, wie ich’s versprochen habe.«
Draußen war der Pignasecca-Markt bereits in vollem Gange. Von den klapprigen Ständen her ertönten wohlklingende Stimmen, die laut die Vorzüge minderwertiger Waren priesen; wacklige Karren bahnten sich ihren Weg durch die Menge; Dutzende halbnackter Kinder mit sonnengebräunter Haut und zum Schutz vor Läusen kahlrasierten Köpfen fegten zwischen den Verkäufern herum und versuchten, etwas Essbares zu stehlen.
Wo die drei vorbeigingen, traten die Leute brav zur Seite, als wären sie von einer lautlosen Stoßwelle getroffen worden. Zwei Polizisten und ein Arzt, einer von denen, die Leichen auseinandernehmen. Was hätte wohl noch mehr Unglück bringen können?
Sie kamen zu einem Café auf der Piazza Carità, in dem sie einen kleinen Tisch im Innenraum, an der Fensterfront besetzten. Das Leben in der betriebsamen Stadt präsentierte sich ihnen nun als Stummfilm.
Ricciardi winkte der Bedienung und bestellte drei Kaffee und drei Sfogliatelle. »Und? Gibt’s was Neues zum Tod der Calise? Am Ende ist sie noch an der Schwindsucht gestorben, was?«
Modo schnaubte lächelnd, zündete sich eine Zigarette an und schlug die Beine übereinander.
»Könntest du ausnahmsweise ein wenig mehr Respekt für die Arbeit der anderen aufbringen? Wegen dir und Maione stecke ich schon seit zwei Tagen in diesem vermaledeiten Lazarett fest. Und bloß weil ich nicht verpassen möchte, wie man dich bei uns einliefert, damit ich dir den Gnadenstoß geben kann, bin ich nicht schon längst ins Ausland verschwunden. Nach Spanien zum Beispiel: Da weiß man Ärzte noch zu schätzen oder man macht kurzen Prozess mit ihnen und das war’s.«
Maione unterbrach ihn mit ironischem Unterton und tat betrübt. »Tut mir leid, Dottore, aber die arme Frau verblutete ja fast ... Ich hab’ einen mächtigen Schrecken gekriegt, und Sie wissen ja, dass ich nur Ihnen vertraue. Wenn man mit einer Sache gut fährt, bleibt man doch dabei, nicht wahr?«
»Ja, ja, veräppeln Sie mich ruhig, das ist ja mittlerweile zum Volkssport geworden. Von allen potentiellen Kunden mussten mir ausgerechnet die verkommensten Polizisten Neapels begegnen! Und dabei ist’s nicht so, dass ich nichts könnte, ganz im Gegenteil. Nehmen wir zum Beispiel Ihre Freundin, Brigadiere, ich wüsste nur zu gern, was einer meiner Kollegen, die sich gern als Professor feiern lassen, mit ihrem Gesicht angestellt hätte. Ich arbeite aus rein ideologischen Gründen im Krankenhaus, und nicht, weil ich mein Geld nicht auch sehr gut in einer piekfeinen Privatklinik verdienen könnte!«
Ricciardi war verblüfft.
»Freundin, Privatklinik? Wovon zum Teufel sprecht ihr zwei eigentlich? Welche Freundin, Maione?«
Das breite Gesicht des Brigadiere war so rot wie eine Tomate.
»Ach was, keine Freundin. Die Frau, von der ich Ihnen gestern erzählt habe, Commissario, als Sie mich nach dem Blut an meiner Jacke gefragt haben, erinnern Sie sich? Ich kenn’ sie nicht weiter, also, ich kannte sie vorher nicht. Ich habe sie zu unserem Doktor hier gebracht, weil sie sich verletzt hatte.«
»Sich verletzt hatte? Na, Sie sind gut! Die haben sie für den Rest ihres Lebens ruiniert! Eine wunderschöne Frau, Ricciardi, glaub’ mir, ein Bild von einer Frau. EineOrchidee. Wieso ist unser Brigadiere denn auf einmal so rot geworden? Hat er sich eine Ohrfeige eingefangen? Oder ist er am Ende noch verliebt?«
»Hör mal, Maione hat eine wunderbare Familie, der ist nicht einsam und verzweifelt wie wir beide. Also verliebt er sich auch nicht. Sagen wir einfach, Polizist bleibt Polizist, ob im oder außer Dienst.«
Maione dankte Ricciardi stumm für dessen Hilfe. Der Kommissar erwiderte seinen Blick jedoch nicht.
Der Doktor streckte die Beine unter dem Tisch aus und verschränkte die Arme im Nacken.
»Ein Polizist im Frühling also. Und bei dir, Ricciardi? Schon irgendwelche Frühlingsgefühle?«
»Es ist ja noch nicht mal richtig warm geworden. Komm, genug geplaudert, es wird spät. Bist du fertig mit der Calise? Was gibt’s Neues?«
»Was
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