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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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erinnerten. Sogleich war sie zu der Alten gerannt und hatte ihr alles erzählt. Die Frau hatte sie ausdruckslos angesehen, als ob sie nicht recht verstünde. Vielleicht verstand sie ja wirklich nicht, vielleicht war sie nur das Bindeglied zwischen ihr und irgendeiner freundlichen Seele aus dem Jenseits, die beschlossen hatte, sie zu retten.
    Dann folgten Tage, in denen sie einfach nur gelebt, das Leben in sich aufgesogen hatte. Auf der einen Seite das Paradies, auf der anderen die Hölle, wo sie eingeschlossen war wie eine Gefangene und die Decke anstarrte. Von diesem Zeitpunkt an hatte sie ihrem Mann nie wieder erlaubt, sie zu berühren. Sie empfand sich als Attilios Frau und trauerte ihrem alten Leben kein bisschen nach. Von nun an wollte sie niemandem mehr etwas vorspielen. Sie hatte für alles gesorgt, hatte ihren Schmuck und sonstigen Besitz verkauft, denn sie mussten jetzt an ihr Glück denken.
    Nur eine Sache fehlte noch. Dass die Alte Ja sagte. Verfluchte Hexe. Emma dachte wieder an den schrecklichenAugenblick vor einigen Tagen. An die blinde Wut, die sie in sich aufsteigen gespürt hatte. An die grauenhafte Vorstellung, Attilio nicht mehr sehen zu können, nicht einmal auf der Bühne. Was sollte sie jetzt bloß tun? Nun, da sie nicht mehr zurückkonnte?
XXIX
    Nunzia blieb auf der Türschwelle stehen. Ihr stolzer Blick flackerte, irrte von rechts nach links. In den Händen hielt sie noch den Reisigbesen.
    Maione legte ihr von hinten seine Hand fest auf den Arm. Sie kam wieder zu sich und trat ein.
    Ricciardi erwartete sie an dem wackeligen Tisch. Er starrte geradeaus, Herz und Sinn voller Schwermut, in den Ohren das Sprichwort, dass Carmela Calises Gestalt in der Zimmerecke aufsagte. Es war ihm lieber, die Leute in Gegenwart des Geistes des Opfers zu befragen, das gab ihm die nötige Kraft und Entschlossenheit, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.
    »Setzen Sie sich«, sagte er zu der Frau. Sie kam näher, nahm einen Stuhl, prüfte kurz, ob er stabil war, und setzte sich.
    Sowohl Ricciardi als auch Maione bemerkten dieses Detail und erinnerten sich daran, dass einer der Stühle ein kaputtes Bein hatte. Es hatte zwar nicht viel zu bedeuten, zeigte aber, dass die Pförtnerin es gewohnt war, an jenem Tisch Platz zu nehmen.
    Drei Stockwerke weiter unten hatten die Kinder draußen wieder zu spielen begonnen: Schreie begleiteten eine Partie Fußball, die sie mit einem Ball aus Lumpen und Zeitungspapier austrugen.
    »Wir möchten von Ihnen wissen, in welcher Art von Beziehung Sie zur Calise standen. Die Wahrheit bitte, nicht den üblichen Blödsinn.«
    Nunzia schlug die Augen nieder. Ricciardis Bestimmtheit, seine leise Stimme und vor allem diese merkwürdig frostigen, grünen Augen beunruhigten sie. Maione nahm ihr den Besen ab und stellte ihn in eine Ecke.
    »Was wollen Sie damit sagen, Commissario? Sie war eine Nachbarin. Ich hab’s Ihnen schon gesagt, das Mädchen war gern bei ihr; und für mich war es bequem, dass jemand auf sie aufpasste, während ich arbeitete. Und abends ...«
    » ... holten Sie sie wieder ab, ich weiß, das hatten Sie schon gesagt. Bezahlten Sie dafür, dass sie nach dem Kind sah?«
    Nunzia kicherte nervös.
    »Natürlich nicht, wovon hätte ich sie denn bezahlen sollen? Außer dem Zimmerchen im Erdgeschoss und ein paar Lira bekomme ich nichts für meine Arbeit, wir müssen sehen, wie wir durchkommen. Da fehlte es gerade noch, dass ich Donna Carmela bezahlte.«
    »Das heißt also, zwischen Ihnen ging kein Geld hin und her?«
    Die Pförtnerin zögerte kurz, ihre Augen irrten schnell von rechts nach links.
    »Nein, ich sagte es bereits. Welches Geld denn?«
    Ricciardi sagte nichts. Er blickte der Frau immer noch direkt in die Augen. Maione, der neben dem Stuhl stand, ragte über Nunzia empor wie eine Burg. Von der Fensterbank her hörte man ein Flügelschwirren, vielleicht eine Taube.
    Nach fast einer Minute sprach Ricciardi weiter.
    »Was für eine Frau war die Calise? Sie kannten sie gut, besser als alle anderen. Mein Gehilfe Maione hier hat die Leute befragt, es scheint, dass niemand etwas mit ihr zu tun hatte, wie üblich. Sie dagegen sahen sie täglich. Hatte sie Familie? Wie lebte sie? Erzählen Sie es mir.«
    Nunzia, die spürte, wie der Schraubstock sich lockerte, war sichtlich erleichtert. Sie wollte sich so kooperativ wie möglich zeigen. Schon bewegte sie ihren gewaltigen Hintern auf dem Stuhl hin und her, um es sich bequemer zu machen, was ein lautes hölzernes Knarren zur Folge

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