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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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hatte.
    »Donna Carmela war eine Heilige, wie ich Ihnen neulich schon sagte, und ich sag’s Ihnen heute gern wieder, niemand wird sich trauen, das abzustreiten. Ich schwöre es bei der armen kranken Seele meiner Tochter, die ein unschuldiger Engel ist.«
    »Ja, schon gut, eine Heilige und ein Engel, ist recht. Also sind wir hier wohl im Paradies. Erzählen Sie mir vom Leben der Calise und schweifen Sie bitte nicht ab.«
    »Sie hatte, soweit ich weiß, keine Familie in Neapel. Sie hatte nicht geheiratet, von Geschwistern hat sie mir nie etwas erzählt. Sie stammte aus einem Dorf, ich weiß nicht einmal, woher genau. Ab und zu kam eine junge Frau zu Besuch, eine entfernte Nichte, sagte sie, aber später habe ich das Mädchen dann nicht mehr gesehen. Sie hat mir auch nicht gesagt, wie sie hieß. Sie besaß die Gabe, in die Zukunft zu sehen, und nutzte sie, um den Leuten zu helfen. Sie hat viel Gutes getan.«
    »Und das tat sie kostenlos, ihren Mitmenschen zu helfen, nicht wahr? Aus reiner Wohltätigkeit.«
    Die Petrone sah den Brigadiere beleidigt an.
    »Was gibt’s denn dagegen einzuwenden, dass die Leute ihr aus Dankbarkeit ein kleines Geschenk machten? Sie verlangte kein Geld, sie sagte bloß ›wenn Sie mir etwas zukommen lassen möchten, nehme ich es gerne‹. Die Leute waren eben froh.«
    Ricciardi hob eine Augenbraue und sah sich um.
    »Und was machte sie mit diesen Geschenken? Die Wohnung steckt ja nicht gerade voller Luxus. Wozu verwendete sie das Geld?«
    »Woher soll ich das wissen, Commissario? Ich konnte doch nicht in Donna Carmelas Kopf reinschauen.«
    »Das konnten Sie in der Tat nicht, doch die Alte war Ihnen wohlgesonnen, das sagten Sie selbst. Oder doch zumindest Ihrer Tochter. Also bekamen Sie vielleicht etwas von dem Geld ab, nicht wahr?«
    Die Frau richtete sich auf ihrem Stuhl auf.
    »Niemals, Commissario. Meinen Namen können Sie vergessen. Ich mochte Donna Carmela. Einfach so, ohne Gegenleistung.«
    Ricciardi und Maione sahen sich an. Das Gespräch führte zu nichts. Der Kommissar seufzte und bohrte seinen ausdruckslosen Blick erneut in Nunzias Augen.
    »Also gut, reden wir Klartext. Uns liegen Beweise dafür vor, dass sie mit der Toten in einem Geschäftsverhältnis standen. Dass sie nicht bloß aus den Karten las, sondern auch Geld verlieh. Und dass sie Ihnen Geld gab.«
    Diesmal war es an der Frau zu schweigen, sie hockte in der Falle.
    Nach einer unendlich langen Zeit begann Nunzia, mit fester, leiser Stimme zu sprechen, wobei sie Ricciardis Blick standhielt.
    »Von wegen Beweise. Sie haben keinen einzigen Beweis. Nur Gerede. Das ist alles nur Geschwätz.«
    Ohne seinen Blick von ihr abzuwenden, gab Ricciardi Maione mit dem Kopf ein Zeichen und dieser ließ das Bündelchen auf den Tisch fallen, das er unter der Matratze gefunden hatte.

    Attilio Romor wusste, dass er keinen sehr scharfen Verstand besaß und oft zerstreut war. Aber er war sich sicher, in den wenigen Situationen zu glänzen, die er im Griff hatte: Eine davon, seine Hauptbegabung, betraf den Umgang mit Frauen.
    Als er Emma hätte haben können, hatte er sie warten lassen, um ihr Verlangen zu steigern. Indem er nach und nach ihre ganze Selbstsicherheit zersetzt hatte, hatte er ihren Widerstand auf die Probe gestellt, ihren Willen geschwächt, bis sie nur noch Wachs in seinen Händen war.
    Hundert, tausend Male hatte er ihre Abhängigkeit aus ihrem Blick herausgelesen, gespürt, wie in ihr der nicht zu unterdrückende Wunsch entstand, ihm zu gehören. Jetzt wusste er ganz sicher, dass er zum Mittelpunkt ihres Lebens geworden war, zum einzigen Grund dafür, warum sie morgens aufwachte. Er konnte sich nicht geirrt haben. Nein, auf gar keinen Fall.
XXX
    Filomena ging die Via Toledo in Richtung Vico del Fico hinauf. Auf dem Kopf trug sie ihr Tuch, ihr Blick war gesenkt, das Gesicht wie üblich verdeckt. Sie ging schnell und hielt sich dicht an den Hauswänden.
    Der breite Mantel verdeckte ihre Figur. Sie trug alte Schuhe, der Rock reichte ihr bis zu den Knöcheln.
    Es war die übliche Verkleidung, ihr Schutzpanzer, der sie vor den Blicken der Raubvögel schützte; wenn du keine Krallen hast, versteck dich lieber.
    Sie hob den Blick nur kurz auf den letzten Metern und sah ihn an der Ecke stehen: Don Luigi Costanzo, wie üblich sehr elegant in seinem hellen Anzug, mit nach hinten geschobenem Hut, der seine braune Stirn zur Geltung brachte, dem schmalen Schnurrbart. Er lehnte mit dem Rücken an der Wand, hatte eine Hand in der

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