Der Fruehling des Commissario Ricciardi
dem Ofen schlugen ihm Hitzewellen entgegen. Tonino Iodice hatte gerade eine Schaufel voll Späne und Sägemehl auf die brennenden Holzscheite geworfen und damit einen Funkenregen verursacht. Von allen Handgriffen, die bei seiner Arbeit anfielen, hatte dieser ihm stets die größte Freude bereitet: Das Sprühen und Funkeln erinnerte ihn an ein Feuerwerk bei den Volksfesten am Meer: an die Raketen, die im Dunkeln zu Lichtblumen explodierten, und die Kinder, die hüpfend in die Hände klatschten.
Als er noch seinen Karren hatte und die Pizzen in der Pfanne in kochend heißem Öl frittiere, gab es keine Flammen, nur die gefährlichen Fettspritzer, durch die man sogar erblinden konnte. Tonino erinnerte sich an die furchtbaren Stichflammen bei sengender Hitze im Sommer, an die Kälte, an steile, nasse und rutschige Straßen im Winter, auf denen er auch bei Krankheit und Fieber unterwegs gewesen war.
Und doch wünschte er sich jenes harte Leben volltäglicher Kämpfe sehnlichst zurück. In all den Jahren, in denen er arm, aber anständig gewesen war, hatte er nie furchtsam zurückblicken, nie etwas vor seiner Familie verheimlichen müssen.
Bevor er den Laden geöffnet und damit begonnen hatte, Wasser, Hefe und Mehl zu einem Teig zu verkneten, war er auch an diesem Morgen losgeeilt, um die Zeitung zu kaufen; gierig hatte er die Meldung darin verschlungen, auch wenn er manch langes, schwieriges Wort nicht verstand und es ihm deshalb noch bedrohlicher erschien: Atrozität, Vertebrae Cervicalis, Jochbogen.
Selbst in der glühenden Hitze, die der Ofen verströmte, schauderte Tonino. Er hatte den Eindruck, direkt in die Flammen der Hölle zu blicken, während das Holz rasch verbrannte. Dabei stellte er sich vor, wie er inmitten des Feuers bis in alle Ewigkeit schmoren würde, ohne je Frieden zu finden. Als er mit der Hand sein Gesicht berührte, war es nass vor Schweiß und Tränen.
Er blickte sich um: Das Lokal war noch leer, sauber und aufgeräumt. Bald würden die ersten Gäste eintreffen. Wie viel hatte sein Traum nun schon gekostet? Und was würde er ihn und seine Familie noch kosten?
XXVIII
Das kleine Zimmer, in dem Carmela Calise vom Frühling geträumt hatte, den sie nicht mehr erleben sollte, war kalt und dunkel. Maione wunderte sich, wie schnell eine Wohnung leblos wirken konnte, sobald niemand mehr darin zu Hause war.
Manchmal kehrte man nach Tagen in unbewohnte Räume zurück und nahm dort noch eine Art Schwingung wahr, konnte die Anwesenheit der Person, die einmal darin gelebt hatte, spüren, als ob sie sich nur kurz entfernt hätte. Andere Male hingegen fand man die Wohnung schon einen einzigen Tag nach dem Mord völlig verwaist und ohne jedes Anzeichen von Leben vor.
Maione stöberte nicht gerne in den Sachen der Toten. Er hasste es, seine Nase in ihre privatesten Dinge, Gedanken oder Gefühle zu stecken, und fühlte sich dann wie ein Eindringling.
Aus Respekt vor dem Verstorbenen ging er bei seiner Arbeit behutsam vor. Er kam nicht umhin, in Schubladen und Schränken zu wühlen, Teppiche und Tischtücher hochzuheben, Geschirr zu verrücken; das war schließlich seine Aufgabe. Doch niemand konnte ihm befehlen, es ohne Respekt zu tun.
Maione dachte an Doktor Modo, der noch ganz andere Orte durchforsten musste, um seine Hinweise zu finden, aber der Gedanke tröstete ihn nicht.
Nicht weit von ihm entfernt, auf der Türschwelle, mit dem Rücken zu dem größeren Zimmer, in dem Carmela Calise ihre vielgestaltige Klientel empfangen hatte, beobachtete Ricciardi Maiones Durchsuchung und lauschte dem alten Sprichwort, dass die Lippen der toten Frauohne Unterlass artikulierten. Zahlen, bezahlen. Schulden und Forderungen, sogar im Moment des Sterbens.
Wer konnte schon sagen, was einen im Augenblick des Todes zurückblicken, den letzten Gedanken an irdischen Dingen haften ließ: Geld, Sex, Hunger, Liebe. Bei Selbstmördern hätte man es ja noch verstehen können, dachte Ricciardi; aber bei jemandem, der ermordet wurde? Er hatte bis jetzt noch nie einen Gedanken aufgeschnappt, der mit Angst, Erwartung oder auch bloß Neugier auf das, was nach dem Tod kam – falls etwas kam –, zu tun hatte.
»Da ist nichts, Commissario. Nur das Heft, das Cesarano gefunden hat. Sonst nichts. Und es stehen keine Daten drin.«
»Sieh’ im Bett nach.«
Maione näherte sich der schmalen, unbequemen Matratze, die von einem alten hölzernen Bettgestell gehalten wurde. Dann deckte er das Bett, als ob er es für die Nacht vorbereiten
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