Der Fruehling des Commissario Ricciardi
das sie mochte. Also wartete sie. Und versuchte, nicht an den Ring zu denken, den sie an seiner linken Hand gesehen hatte.
Bei halb geöffnetem Fenster, das den Frühling hereinlassen sollte, saß Lucia Maione in der Küche und wartete. Auch das war neu – zumindest, was die letzten drei Jahre betraf. Sie hatte sich frisiert und sich bei einer Freundin sogar nach Linda erkundigt, der Expertin für Haut und Haare in ihrem Viertel.
Aus der Kommode hatte sie ein geblümtes Kleid herausgesucht, das ihrem Mann besonders gut gefiel, und mit Erstaunen festgestellt, dass es ihr sogar ein wenig zu weit war. Sie hatte den ganzen Nachmittag damit verbracht, ihre berühmte Salsa Genovese zu kochen, eine Soße aus Fleisch und Zwiebeln, nach der das Haus zwei Tage lang duftete und die ihre Familie im Handumdrehen verputzte.
Die Kinder hatten sie überrascht und ängstlich angesehen, dann hatten sie sich angelächelt und waren ausnahmsweise einmal nicht nach draußen spielen gegangen, sondern hatten sich in ihrem Zimmer versammelt, um abzuwarten, was passieren würde, wenn ihr Vater nach Hause kam.
Enrica, der das Herz bis zum Hals schlug, wartete.
Als sie vom Präsidium zurückgekommen war, hatte sie sich in ihr dunkles Zimmer eingeschlossen. Nun lag sie rücklings auf dem Bett – ihr Kissen war bereits feucht vorTränen – und dachte daran, was am Abend passieren würde. Ihre Mutter hatte mehrmals angeklopft, sie hatte behauptet, ihr sei schlecht, und sich so vor dem Abendessen gedrückt.
Was würde er wohl tun? Würde er sich hinter dem geschlossenen Fenster zeigen? Sein Profil sich gegen das gelbe Licht der Lampe abheben, seine Augen im Dunkeln glänzen wie die einer Katze, sie mit Wärme erfüllen? Und sie, würde es ihr gelingen, ruhig und besonnen zu bleiben wie jeden Abend, sich langsam zwischen ihren Dingen zu bewegen, die ihr Sicherheit gaben? Und was würde er denken, nachdem er sie aus der Nähe gesehen hatte und ihren Schwächen auf die Spur gekommen war, den tausend kleinen Macken, die er vorher nicht bemerken konnte, weil es keine Gelegenheit dazu gab?
Enrica dachte an seinen Blick, einen erstaunten, fast erschrockenen Blick. Vielleicht glaubte er jetzt auch noch, sie sei eine kranke Frau.
Verzagt und furchtsam wartete Enrica weiter.
Im Hof des Krankenhauses wartete Concetta. Ihr Mann war hinter diesen Mauern; der Mann, den sie schon immer liebte, der Vater ihrer Kinder, lag im Sterben, vielleicht war er auch schon tot. Nie würde sie die Gesichter der beiden Polizisten vergessen, die erst lächelten und kurz darauf entsetzt nach vorne starrten; sie hatte sich umgedreht und die im Licht des Feuers aufblitzende Klinge gesehen – und dann sein Schrei; und all das Blut erst, so viel Blut.
Concetta wartete darauf zu erfahren, ob ihr Leben zu Ende sei. Ob die Hoffnung, die sie noch auf den Beinen hielt, ihr Herz schlagen und ihre Lungen atmen ließ,weiter andauern würde. Während sie mit geschwollenen Augen auf die geschlossene Tür starrte, hinter der Tonino bewusstlos lag und ums Überleben kämpfte, hörte Concetta nicht auf zu hoffen.
Und wartete.
Da es mittlerweile Abend geworden war, beschloss Ricciardi, sie anzusprechen. Niemand hatte sich entfernt, nicht einmal Cesarano und Camarda, deren Schicht schon seit Stunden zu Ende war. Der unsagbare Schmerz der beiden Frauen, die so viel Haltung bewahrten, hatte alle im Hof festgehalten; man wartete auf eine Nachricht aus dem Raum, in dem Doktor Modo Iodice operierte.
Entgegen aller Gewohnheit hatte niemand den Verwandten Trost gespendet. Es war etwas geschehen, das nicht einzuordnen war, und die Leute wollten erst begreifen, was tatsächlich passiert war, um nicht mit in die Sache hineingezogen zu werden.
Ricciardi wandte sich an Iodices Frau.
»Signora, ich bin Commissario Ricciardi vom mobilen Einsatzkommando. Ich wollte Sie fragen, ob Sie etwas brauchen. Was kann ich tun, um Ihnen zu helfen?«
Die Frau, die bei ihrer Schwiegermutter Halt suchte, sah ihn verstört an. Ricciardi erahnte eine zarte Schönheit in ihren Zügen, die durch das Leid entstellt worden waren.
»Ja, etwas können Sie tun. Bitte versuchen Sie, in Erfahrung zu bringen, wie es meinem Mann geht, was sie mit ihm machen. Uns sagen sie nichts, und wenn wir versuchen reinzugehen, schicken sie uns weg. Wir müssen, ich muss wissen, was ich meinen Kindern zu Hause sagen soll.«
Ihre durch das Schluchzen brüchige Stimme ließ Ricciardi auf eine Frau mit starkem Willen, eine
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