Der Fruehling des Commissario Ricciardi
traurig, die schwarze Brille schon ein wenig lädiert. Ein Durchschnittstyp.
»Einen schönen guten Tag wünschen wir. Wir möchten Ihnen ein paar Fragen zu Carmela Calise stellen.«
»Ach ja, ich hab’s in der Zeitung gelesen, schrecklich. Ich war noch am Tag zuvor bei ihr gewesen, dort bin ich auch die Treppe heruntergefallen, eine schlimme Verstauchung, im Krankenhaus hieß es, dass der Verband einen Monat lang dranbleiben muss. Ein sehr lästiger Zustand, zum Glück hilft mir die Frau des Pförtners ... natürlich sind das zusätzliche Ausgaben. Aber angesichts mancher Schicksalsschläge gelangt man doch zu dem Schluss, dass man eigentlich Glück hat. Ist es nicht so, Herr ...«
Maione antwortete ihm höflich; der Mann gefiel ihm, schien ein feiner Kerl zu sein.
»Commissario Ricciardi und Brigadiere Maione vom mobilen Einsatzkommando, zu Ihren Diensten. Was taten Sie an besagtem Tag bei der Calise?«
Ridolfi seufzte, schüttelte den Kopf.
»Ach, wissen Sie, das Altern ist nicht leicht. Und noch schlimmer ist die Einsamkeit. Seit meine Frau vor einem Jahr von mir gegangen ist, denke ich nur noch an sie. Wir hatten keine Kinder, wir waren immer zu zweit und jetzt bin ich allein. Leider bewahrte sie alle Erinnerungsstücke auf und ich habe sie nicht wiedergefunden. Es sind Kleinigkeiten, Dinge ohne Wert für Außenstehende, aber mir wäre es sehr wichtig, sie zu haben.«
Während er leise weitersprach, füllten sich die Augen des Mannes mit Tränen, die ihm ganz langsam die Wangen herabliefen. Sein Weinen wurde weder von Schluchzern noch Seufzern begleitet.
»Deswegen ging ich zur Calise. Zunächst einfach so, quasi zum Spaß, um nicht zu Hause herumzusitzen. Und dann ... dann hatte sie begonnen, aus ihren Karten Dinge zu lesen, die nur meine Olga und ich wussten. Dadurch bin ich auf die Idee gekommen, dass es vielleicht ein Weg sein könnte, um noch einmal miteinander zu sprechen. Um sich in dieser Welt noch einmal zu begegnen, bevor man sich im Jenseits wiedersieht.«
Ricciardi schaute den Mann an, irgendetwas an ihm bereitete ihm Unbehagen. Er hätte nicht sagen können, was, aber in seinen Worten lag für ihn kein echter Schmerz. Vielleicht weil er mit so eintöniger Stimme erzählte, als würde er eine Litanei herunterbeten, die er schon auswendig kannte. Vielleicht lag es an seinen Händen, die nicht zitterten. Vielleicht an all den geräuschlosen Tränen. Seine Kehle fühlte sich plötzlich trocken an.
»Entschuldigen Sie, kann ich ein Glas Wasser haben?«
»Aber selbstverständlich, Commissario. Sie müssen es sich nur selber holen; mein Bein erlaubt es mir nicht, meinen Pflichten als Hausherr nachzukommen. Gehen Sie doch bitte in die Küche, diese Tür da. Die Gläser stehen auf der Spüle.«
Maione schickte sich an aufzustehen, doch Ricciardi bedeutete ihm sitzen zu bleiben und begab sich selbst in die Küche.
Er ließ gerade Wasser in ein Glas laufen, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. In einer Ecke des Zimmers saß, gut sichtbar in dem durch das Fenster hereinfallenden Licht, Ridolfis verstorbene Ehefrau.
Nach über einem Jahr war sie noch zu sehen. Das Bild war kein bisschen verblasst; von ihrer verbrannten Haut stiegen träge Rauchkringel auf. Ihre letzte Empfindung musste sehr, sehr stark gewesen sein. An dem Skelett hingen überall Fleischfetzen, von den Kleidern war nur noch ein Streifen auf einer der Schultern zu sehen. Der Schädel glänzte in der Farbe gerösteter Mandeln. Ein Auge war zerplatzt und die Augenhöhle leer; das andere, noch intakte Auge drehte sich irr im Kreis. Die verbrannten Lippen gaben den Blick auf eine Reihe Zähne frei, die in dem sie umgebenden Schwarz fast zu leuchten schienen, so weiß waren sie. Ein goldener Backenzahn glitzerte unbestimmt in der Nachmittagssonne.
Der Kopf wandte sich Ricciardi zu und starrte ihn mit dem verbliebenen Auge an; die Hände lagen im Schoß, die Haltung der Beine, die zwei dürren, verkohlten Holzzweigen glichen, war auf merkwürdige, grauenhafte Weise anmutig. Einen Augenblick lang betrachteten sie sich so, dieLeiche und der Kommissar, der das Glas immer noch unters Wasser hielt. Es war schon längst übergelaufen und benetzte seine Hand.
»Du Schürzenjäger« , sagte die Frau, »du verfluchter, alter Schürzenjäger. Du heulst auf Kommando. Sagst, dass sie deine Liebe ist und ich das Fegefeuer. Jetzt wird’s ein schönes Feuer geben, warte nur, bis du heut’ Abend nach Haus’ kommst. Du wolltest den
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