Der Fruehling des Commissario Ricciardi
entschlossene und geradlinige Frau schließen. Er nickte und ging hinein.
Gerade als er sich der Stationstür näherte, ging diese auf und Doktor Modo kam heraus.
»Da haben wir’s. Kaum verlässt man einen Operationssaal voller Blut und Schmerzen, und wen hat man vor sich? Die hässliche Visage eines Polizisten. Und was für ein Polizist erst, der lustigste von allen.«
Ricciardi kannte Modo gut genug, um hinter all den Späßen auch die Müdigkeit zu hören. Das Gesicht des Doktors war von tiefen Furchen durchzogen, den Kragen unter dem blutverschmierten Kittel hatte er aufgeknöpft und die Krawatte gelockert, so dass man seinen vor Anstrengung roten Hals sah.
»So ist es, aber keine Angst, ich bin nicht hier, um dich zu verhaften. Noch nicht. Was kannst du mir zu Iodice sagen? Seine Frau und seine Mutter warten draußen. Ich hab’ mich nicht getraut, ihnen zu sagen, dass du ihn unterm Messer hast.«
Modo lächelte müde.
»Dein Sinn für Humor ist überwältigend. Hast du schon mal an die Revue gedacht? Du wärst ein perfekter Komiker. Wenn sie dich nehmen, bewerbe ich mich für die Tanzeinlage. Ich tanze ohnehin nach eurer Pfeife, und zwar gratis. Ist dir klar, dass ich keinen einzigen Dienst zu einer normalen Uhrzeit beenden kann, ohne dass entweder du oder Maione mir in letzter Minute mit irgendeinem Geschenk ankommt?«
»Ja, schon gut, ich verspreche dir, dass du dich später,solange du willst, an meiner Schulter ausweinen darfst. Oder weißt du was? Ich spendiere dir eine Pizza. Auch wenn du mit all den Überstunden, die du dank uns machst, dreimal soviel verdienst wie ich. Aber jetzt sag’, wie geht es Iodice?«
»Ach, Iodice heißt er? Tja, ich kann dir nicht sagen, ob er durchkommt. Der Stich hat die Arterie um ein Haar verfehlt, das hat ihn vorläufig gerettet. Aber er hat die Lunge durchdrungen. Da wurde präzise und entschlossen zugestochen, das Messer steckte bis zum Anschlag drin. Zum Glück hat niemand versucht, es unterwegs rauszuziehen: Damit hätte man enormen Schaden anrichten können. Die Operation war sehr schwierig, er hat viel Blut verloren. Jetzt schläft er. In dem Zustand müssen wir ihn vierundzwanzig Stunden lang halten, du kannst also auf keinen Fall mit ihm sprechen. Morgen sehen wir weiter. Wenn er bis morgen durchhält. Wer hat ihn denn erstochen?«
Ricciardi überlegte, was einen Mann wohl dazu bringen konnte, so etwas zu tun, wenn nicht die Gewissheit, dass es keine Hoffnung mehr für ihn gab.
»Er hat es selbst getan. Wie diese Japaner, weißt du, die einen rituellen Selbstmord begehen.«
Modo schüttelte den Kopf.
»Unglaublich. Je mehr ich mit den Toten zu tun habe, desto weniger verstehe ich die Lebenden.«
XL
Ricciardi kam zurück in den Hof. Die zwei Frauen beobachteten ihn von weitem und versuchten, aus seinem Gesichtsausdruck etwas abzulesen,trauten sich aber nicht, ihm entgegenzugehen. Er kam zu ihnen.
»Ihr Mann lebt, doch sein Zustand ist sehr kritisch. Der behandelnde Arzt ist der beste im ganzen Krankenhaus. Glauben Sie mir: Wenn jemand ihn retten kann, dann er.«
Iodices Frau brach in Tränen aus. Seine Mutter schien in Stein gemeißelt. Ricciardi sprach weiter.
»Gehen Sie jetzt nach Hause zu Ihren Kindern, er braucht Ruhe. Vor morgen dürfen Sie ohnehin nicht zu ihm. Wenn etwas passiert, werde ich Sie auf der Stelle informieren lassen. Mich finden Sie morgen früh in meinem Büro, falls Sie mir etwas sagen möchten.«
Die alte Frau hakte die junge unter und begab sich gesenkten Hauptes in Richtung des Gittertores.
Ricciardi trat zu dem Grüppchen, das seine Kollegen bildeten; sie warteten etwas abseits auf ihn. Er teilte ihnen die Neuigkeiten mit und schickte Camarda und Cesarano nach Hause.
Als er mit Maione allein war, seufzte er lange.
»Heute Abend können wir nichts mehr ausrichten. Hast du etwas wegen der anderen Frau gehört, dieser, wie heißt sie doch gleich, Serra di Arpaja?«
Maione wunderte sich.
»Aber, Commissario, dieser Iodice ... es ist doch, als ob er die Tat gestanden hätte, nicht?«
»Maione, gerade du solltest es besser wissen. Du hast doch mehr Erfahrung als ich. Dass Iodice einen guten Grund dafür hatte, verzweifelt zu sein, steht außer Frage. Aber deswegen gleich zu schlussfolgern, dass er die Calise ermordet hat, ist sehr weit hergeholt, nicht? Also setzen wir die Ermittlungen fort, und falls Iodice plötzlichaufwachen und gestehen sollte, schließen wir die Akte. Falls nicht, nicht. Verstanden?«
Der Brigadiere
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