Der Fruehling des Commissario Ricciardi
Fleisch schneidet. Glauben Sie mir, Brigadiere, vor den Flammen des Ofens sah er aus wie eine Seele der Hölle. Er hebt also das Messer und stößt es sich in die Brust.«
Cesarano erzählte weiter.
»Heilige Maria, das war vielleicht ein Schreck! Erst sticht er zu, dann rammt er sich das Messer immer tiefer und tiefer in die Brust. Alle schrieen wild durcheinander. Wir konnten ihn nicht rechtzeitig aufhalten, wir haben’s versucht, aber nicht geschafft. Er hat es sich in voller Länge hineingestoßen, bis zum Griff. ›Verzeiht mir‹, hat er noch gesagt, bevor ihm die Augen zufielen. Camarda hier beugte sich über ihn ...«
»Ja, ich war als Erstes bei ihm, Cesarano hielt die Signora fest, die schluchzte ›Liebster, mein Liebster, was haben sie dir angetan, Toni‹, aber er hatte es selbst getan, vor aller Augen. Ich hab’ dann gesehen, dass er trotz des Bluts, das ihm aus Brust und Mund herausquoll, noch atmete. Du lieber Himmel, Commissario, er war leichenblass. Ich hab’ einen der Tische geschnappt, ich und Cesarano hier, Pizzen, Teller und Gläser flogen durch die Luft ...«
»Wir haben ihn auf den Tisch gelegt und ihn hierher ins Krankenhaus gebracht. Das war vielleicht eine Prozession draußen auf der Straße, Brigadiere! Fast wie bei einer Beerdigung, aber wir alle rannten, so schnell wir konnten. Jetzt operieren sie ihn gerade, wir kamen genaurechtzeitig, Doktor Modo packte eben seine Sachen zusammen.«
Ricciardi sah wieder zu den Frauen hinüber, sie standen etwas weiter weg.
»Die jüngere ist also seine Frau?«
Diesmal antwortete Camarda:
»Ja, Commissario. Die ältere ist seine Mutter, glaube ich. Sie kam direkt hierher und hat bis jetzt noch kein Wort gesagt.«
Die Proben waren unterbrochen worden, was dem Regisseur und Hauptdarsteller, der ein und dieselbe Szene wohl bis in alle Ewigkeit weiter geprobt hätte, ganz offensichtlich missfiel. Ein perfektionistischer Fanatiker, dachte Attilio, oder vielleicht einfach nur ein Narzisst.
Die Hauptdarstellerin – sie sah noch hässlicher aus als sonst – hatte nämlich gedroht, ihre Notdurft mitten auf der Bühne zu verrichten, wenn ihr keine Pause zugestanden würde. Alle hatten gelacht und der eingebildete Narr hatte seinen Zorn hinunterschlucken und zustimmen müssen. Romor hatte die Auszeit genutzt, um in der Gasse hinter dem Theater ein wenig frische Luft zu schnappen und eine Zigarette zu rauchen. Der Bruder des Autors gesellte sich zu ihm.
»Na, Attilio, was gibt’s Neues? Wie geht’s der schönen Signora mit den schwarzen Augen, zweite Loge erste Reihe? Ich seh’ sie schon seit ein paar Abenden nicht mehr. Ist ihr nicht wohl?«
»Nein, Peppino. Ich hab’ sie in die Wüste geschickt, wir gehen getrennte Wege.«
»Ach, wie schade! Sie war wirklich schön. Sah mir auch vornehm aus, eine mit Geld. Das kam dir doch zugute, nicht?«
Romor seufzte unbekümmert, er blickte in die Dunkelheit hinaus.
»Weißt du, so bin ich eben: Ich mag keine Kletten. Irgendwann werden sie alle gleich. Dann krieg ich Lust, mal was Neues zu probieren.«
An der Tür erschien das besorgte Gesicht des Laufburschen.
»Kommt schnell: Er hat schon zwei Mal gerufen!«
Die beiden wechselten einen entnervten Blick, warfen ihre Zigaretten weg und gingen wieder hinein.
Im Vico del Fico war die Dämmerung hereingebrochen. Filomena wartete. Sie hatte das Abendessen für Gaetano, der bald von der Baustelle nach Hause kommen würde, schon vorbereitet. Sie hatte auch den Verband gewechselt, der die Wunde bedeckte. Ein paar Nachbarinnen, die sich ihr gegenüber nach dem Unfall überraschend freundlich gezeigt hatten, waren zu Besuch gewesen. Und jetzt wartete sie. Sie wartete allerdings nicht auf Gaetanos Rückkehr, zumindest nicht nur. Sie wartete auf den Besuch des Brigadiere Maione.
Immer wieder sagte sie sich, dass es bestimmt nicht schaden konnte, wenn alle ihn morgens und abends vorbeigehen sahen, dass die Gegenwart des massigen Polizisten merkwürdige Reaktionen jedweder Art, zum Beispiel seitens Don Luigi Costanzos, verhindern konnte und dass es schön war, auch einmal beschützt zu werden, anstatt sich ganz alleine schützen zu müssen, wie sie es ihr ganzes Leben lang getan hatte.
Aber das stimmte nicht. In Wahrheit gab es da etwas anderes. Maione hatte Filomena kennengelernt, als siebereits entstellt war, und seine Blicke, seine Stimme brachten sie dazu, sich als Frau zu fühlen, ohne Angst davor, es auch zu sein. Es war für sie ein neues Gefühl,
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