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Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Titel: Der Frühling - Hyddenworld ; 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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befanden.
    Feld las ihre Gedanken.
    »Sie können dich nicht sehen«, sagte er, »und sie können dich nicht hören. Vor vielen Jahrzehnten haben wir gelernt, dass Menschen nahezu blind für alles sind, was sie nicht unmittelbar betrifft.«
    Katherine versuchte, die Entfernung bis zur Brücke zu schätzen.
    Streik trat vor, um sie zurückzuhalten, aber Feld schüttelte den Kopf.
    »Ist schon in Ordnung«, sagte er. »Soll sie es ruhig versuchen! Je früher sie begreift, dass es kein Entrinnen gibt, desto besser.«
    Sie hielt es für einen Bluff und rannte los. Sie schrie und fuchtelte mit den Armen, um die Menschen auf der Brücke auf sich aufmerksam zu machen.
    »Hier unten! Ich bin hier, hier unten! Ich bin Katherine Shore. Können Sie mich denn nicht sehen? Hier unten!«
    Niemand blickte in ihre Richtung, alle waren in Eile, und niemand blieb auch nur einen Augenblick stehen.
    Sie versuchte es weiter, bis sie vom Schreien heiser und müde wurde und die Hoffnung verlor.
    Feld beobachtete sie mitfühlend, die anderen ungeduldig. Dann ging Streik zu ihr, packte sie am Arm und führte sie zu den anderen zurück. Sie ließ es widerstandslos geschehen.
    »Glaube mir«, sagte Feld. »Selbst wenn sie dich hören und sehen könnten, würden sie ihren Augen und Ohren nicht trauen. Sie würden dich als ein Geschöpf der Nacht abtun, als einen Schatten oder irgendeinen unbelebten Gegenstand. Menschen sehen nur, was sie sehen wollen, was sie zu sehen erwarten oder glauben, sehen zu können. Für alles andere sind sie blind. Also hör bitte auf, dich zur Närrin zu machen, und komm mit uns.«
    Das Tor war stabil, ein Musterbeispiel handwerklicher Schmiedekunst des späten neunzehnten Jahrhunderts. Doch es war schlecht erhalten. Rost hatte sich durch den alten Anstrich gefressen, und eine Angel saß so locker, dass dieser Teil des Tors sich bedenklich weit nach vorn neigte.
    Eine Tafel war daran angebracht, auf der stand: BETRETEN FÜR UNBEFUGTE VERBOTEN.
Hochwassergefahr.
    Auf einem zweiten Schild stand in Gelb auf schwarzem Grund HOCHSPANNUNG, mit einem Blitzsymbol darunter.
    Zwei schattenhafte Gestalten spähten von der anderen Seite des Tors durch die Stäbe. Sie deuteten auf Katherine, tuschelten ungläubig miteinander, doch auf Felds Befehl hin öffneten sie das Tor so weit, dass einer nach dem anderen hindurchschlüpfen konnte.
    »Willkommen in Brum, Brüder, willkommen, Schwester«, sagten sie, öffneten den Mund zu einem Lächeln, das gelbe, verfaulte Zähne entblößte, und bliesen ihnen ihren nach Kanalisation stinkenden Atem entgegen. »Seien Sie alle herzlich willkommen.«

52
BEI DEN TEUFELSRINGEN
    A n einem weitaus freundlicheren Ort hielt Master Bedwyn Stort, Adlatus des Meisterschreibers von Brum, einem lediglich aus einem einzigen Zuhörer bestehenden Publikum einen Vortrag über Devil’s Quoits, ein halb vergessenes Henge in Oxfordshire.
    »Wie aus den Aufzeichnungen hervorgeht, haben sie versucht, diesen Ort zu zerstören«, sagte er mit der Erregung des wissenschaftlichen Feldforschers, der für seine Arbeit entflammt, »doch zum Glück ist es ihnen nicht ganz gelungen, wie wir unschwer sehen können.«
    »Wem?«, fragte Barklice, sein Gefährte und augenblickliches Publikum.
    »Wie wem?«, fragte Stort, dessen Gedanken seinen Worten weit vorauseilten.
    »Wem ist es nicht ganz gelungen? Wer hat versucht, die Quoits zu zerstören?«
    Sie bildeten ein sehr gegensätzliches Paar. Barlice war von hagerer Gestalt und hatte Säbelbeine, ein runzliges, wettergegerbtes Gesicht und wachsame Augen, die unablässig die verschandelte Landschaft absuchten, die einst das schönste und mächtigste Henge von ganz Englalond beherbergt hatte.
    Stort war viel kleiner und dünner als Barklice. Und heute Nachmittag sah er noch sonderbarer aus als gewöhnlich. In der Meinung, es sei zu schwül für seine üblichen Hosen, hatte er stattdessen ein Paar kurze angezogen, die er nach seinem eigenen eigenwilligen Entwurf geschneidert hatte.
    Sie waren aus Harris-Tweed, seinem Lieblingsstoff, und hatten so viele Taschen und eingenähte Beutel, Haken und Ösen, Knöpfe und Reißverschlüsse, dass Stort aussah wie ein gerupftes Huhn auf dem Nachhauseweg.
    Devil’s Quoits bestand heute nur noch aus einem einzigen, in der Mitte stehenden Menhir und ein paar weiteren ein Stück davon entfernt, die allerdings auf der Seite lagen. Sie bildeten die Überreste eines kaum noch sichtbaren Henges mit zwei Steinkreisen. Die Fläche war jetzt

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