Der Frühling - Hyddenworld ; 1
stiebender Regen erfüllte die Luft rings um sie her. Bald zuckten Blitze über den Himmel, und Donnerschläge dröhnten in ihren Ohren.
»Es ist schlimmer, als Sie ahnen«, flüsterte sie, nur für seine Ohren bestimmt. »Ich bin über den ganzen Kontinent gereist, um hierher zu gelangen, und ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass dies das schlimmste Wetter ist, an das ich mich erinnere, und meine Erinnerung reicht bis ins Mittelalter zurück. Ich bin mir sicher, dass dieses Unwetter schlimmer wird als alles, was wir kennen.«
»Ist das eine Vermutung oder eine Prophezeiung?«, fragte er schließlich.
»Es ist eine Vorhersage, die auf langer Erfahrung beruht.«
»Wie Ihre Vorhersage, dass unsere Welt untergehen wird, wenn die Erde sich zu wehren beginnt?«, spöttelte er. Brif hatte niemals auch nur eine Sekunde daran geglaubt, dass ihre häufigen Warnungen sich bewahrheiten würden.
»Es hat bereits begonnen und wird noch viel schlimmer werden, wenn ihr nichts dagegen unternehmt«, entgegnete sie in scharfem Ton. »Doch ich bin zu der Ansicht gelangt, dass ihr so lange denselbenverhängnisvollen Weg beschreiten werdet, bis ihr begreift, dass die Erde kein Vorratsschank ist, den man plündern, und kein Brunnen, den man leer schöpfen kann, um sich dann Ersatz zu suchen. Aber jetzt, Master Brif, braucht Ihr Bart erst einmal einen Kamm.«
Sie gab ihm einen aus dem Vorrat, den sie bei sich trug, aus Dankbarkeit, dass er ihr es so leicht gemacht hatte, sich zu seiner Gruppe zu gesellen.
Wäre er nicht gewesen, hätten die anderen sie wahrscheinlich aufgefordert, sich einen anderen Platz zum Unterstehen zu suchen, denn die Sieben ist eine Glückszahl, was man von der Acht nun wahrlich nicht behaupten kann.
Hydden waren abergläubisch, was Zahlen anging, und zogen, wenn sie in der Gruppe reisten, eine ungerade Mitgliederzahl bei weitem einer geraden vor. Waren sie jedoch gezwungen, in einer Gruppe mit gerader Mitgliederzahl zu reisen, dann sollte es wenigstens eine der günstigeren sein.
Die Acht war zufällig eine der schlimmsten Unglückszahlen.
Aus diesem Grund hatte Brif an die Großmut der anderen appellieren und sie dazu überreden müssen, die zerlumpte Hausiererin unter ihrer Brücke zu dulden. Jetzt kauerten sie etwas abseits und warfen ihr von Zeit zu Zeit argwöhnische Blicke zu.
Aber Brif wusste, dass Imbolc nie ohne Grund erschien und dass im Allgemeinen etwas Gutes dabei herauskam, wenn sie es tat. »Also, warum sind Sie hier?«
»Ich suche meine Nachfolgerin«, antwortete sie kurz.
»Ich wusste gar nicht, dass Sie sich zur Ruhe setzen«, erwiderte er.
Sie lächelte schmallippig. »Ich setze mich nicht zur Ruhe. Ich vergehe. Haben Sie vergessen, wie alt ich bin?«
»Durchaus nicht«, antwortete er und fügte eilends hinzu: »Ich möchte auch nicht optisch an Ihr hohes Alter erinnert werden.« Einmal hatte sie den Fehler begangen, ihm so zu erscheinen, wie sie wirklich aussah. Der Anblick hatte ihn ziemlich mitgenommen. Mit ihrer jetzigen Gestalt einer verwahrlosten Händlerin mittleren Alters konnte er sich eher anfreunden.
»Wie dem auch sei«, fuhr sie fort, »jedenfalls sind meine letzten Jahre angebrochen, und jemand anderes muss diese Aufgabe übernehmen. Fünfzehnhundert Jahre sind für jeden mehr als genug.«
»Wann erwarten Sie denn, zu … äh … vergehen?«, fragte er.
»In ungefähr zehn Jahren, würde ich sagen«, antwortete sie gelassen. »Meine Uhr ist also bereits abgelaufen. Wir Friedensweberinnen verschwinden nicht im eigentlichen Sinn, müssen Sie wissen – wir gehen in etwas anderes, und hoffentlich Besseres, über. Das hängt davon ab, was der Spiegel aller Dinge für uns bereithält. Gleichwohl bleiben mir nur noch zehn Jahre, um meine Nachfolgerin zu finden und auf ihre Aufgabe vorzubereiten.«
»Wie lange suchen Sie denn schon?«
»Seit ungefähr dreihundert Jahren«, antwortete Imbolc trocken.
»Gibt der Spiegel aller Dinge über dergleichen denn keine Auskunft?« Brif senkte bei diesen Worten ehrfürchtig die Stimme und spähte unter der Brücke hervor zu dem dunklen, tobenden Himmel, als erwarte er, dass die Macht, die über ihrer aller Leben gebot, sich plötzlich zeigte. Aber natürlich wusste er, dass sie niemals in eindeutiger Weise in Erscheinung trat, es womöglich gar nicht konnte.
»Nein«, antwortete Imbolc, »der Spiegel gibt darüber keine Auskunft. Meine Nachfolgerin muss ich allein finden – das ist vielleicht meine letzte und wichtigste Aufgabe.
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