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Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Titel: Der Frühling - Hyddenworld ; 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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die Hand wieder herauszog.
    Er stand auf, ging zu dem Spielzeughaufen in der Ecke und legte den Gegenstand, den er aus dem Rucksack genommen hatte, behutsam oben drauf.
    Es war sein Plüschpferd, ein weißes Pferd, das aussah wie kein anderes – überlange Beine, nur ein Auge, spitzer Kopf mit spitzen Ohren und ein langer geschmeidiger Leib. Ein Pferd, so alt und abgenutzt vom Reisen und der Zeit, dass von seiner Gestalt und seinemLeben nur das Wesentliche geblieben war, mit einem Schweif, der gerade so weit zurück in die Vergangenheit wirbelte, wie sein fließender Gang und sein neugieriges Auge es vorwärts in die Zukunft führten.
    Jack betrachtete es, murmelte etwas, nickte kurz, als sei soeben eine geheime Übereinkunft getroffen worden, und kehrte dann auf seinen Platz und zu seinem stummen Warten zurück.
    Er sah nicht mehr zu dem Pferd hin, vielmehr beobachtete das Pferd ihn und die Welt ringsum, so schien es jedenfalls.
    Der Fernseher am anderen Ende des Raums flimmerte, während eine stürmische Böe Unrat gegen das Fenster peitschte, das auf den Hof hinausging. Ein Textband lief über den Bildschirm, und die düsteren Bilder unterstrichen die Dringlichkeit der Meldung.
    Eine landesweite Unwetterwarnung.
    Jack schnürte seinen Rucksack zu und starrte zum Fernseher. Einen Augenblick lang sah er aus, als trage er auf seinen Schultern die Last einer ganzen Welt, habe sich aber damit abgefunden, ohne zu klagen.
    Leute kamen, und Leute gingen, doch der Junge verharrte auf seinem Stuhl, hielt seinen Rucksack umklammert und wartete geduldig. Die Unwetterwarnung im Fernsehen wurde noch mehrmals wiederholt, und die Empfangsdame hatte weiter ein Auge auf die Dinge im Allgemeinen und den einsamen Jungen im Besonderen.
    Unterdessen fielen draußen die ersten richtig dicken Regentropfen aus einem bedrohlichen Himmel. Es war kein Tag zum Reisen, gleichgültig wohin.

12
EIN WUNDERKIND
    D er eisige Wind, der in Böen um die Eisenbahnbrücke fegte, unter der die Hydden Schutz gesucht hatten, war stärker geworden, und als der Regen zunahm, wurde es immer dunkler.
    Die fünf Knüppelmänner kauerten auf der einen Seite, während Imbolc und Master Brif auf der anderen immer noch leise miteinander sprachen. Gegenstand ihrer Unterhaltung war Bedwyn Stort, der mit dem Rücken am feuchten Mauerwerk abseits von allen anderen am hinteren Ende der Unterführung hockte.
    Von Zeit zu Zeit blickte die Friedensweberin verstohlen zu ihm hinüber in der Hoffnung, nun, da sie mehr über seine Lebensgeschichte wusste, auch etwas mehr von ihm zu sehen zu bekommen. Doch er blieb fast vollständig unter dem schwarzen Plastiksack verborgen, aus dem nur seine Nase und seine Füße hervorschauten.
    Seine Lebensgeschichte war erstaunlich, wie sie inzwischen erfahren hatte.
    Alles begann damit, dass Brif eines Tages eine ungewöhnliche Anfrage von einem pensionierten Schreiber erhalten hatte, der in einem unbedeutenden Hyddendorf in Englalonds rauhem Grenzgebiet zu Wales lebte. Der Ort hieß Wardine-on-Severn, und ein Schüler des Schreibers hatte offenbar den Wunsch geäußert, Walisisch zu lernen.
    »Ich muss gestehen«, bemerkte Brif, »dass ich das ein wenig sonderbar fand, aber selbst in diesen unruhigen Zeiten ist die Gelehrsamkeit nie ganz erloschen.«
    Zu seinen Pflichten als Meisterschreiber gehörte die Förderung von Erziehung und Bildung in der ehemaligen Hauptstadt Brum, die, wie alle Hydden wissen, im Herzen der Menschenstadt Birmingham liegt, unsichtbar tief unten zwischen ihren Abwasserkanälen, Rohrsystemenund Wasserläufen, in den Tunneln und Unterführungen ihrer Eisenbahn sowie in den für Menschen unzugänglichen Lücken zwischen Straßen und Gebäuden. Brums reiche und legendäre Kultur war in einem beklagenswerten Niedergang begriffen, aber noch nicht ganz verloren.
    »Unsere Archive sind nach wie vor die besten von ganz Englalond, und dort fand ich ein Lehrbuch, das mir für diesen speziellen Zweck geeignet schien. Da es selten und kostbar war, vertraute ich es einem Knüppelmann an, dessen Redlichkeit mir wohlbekannt war, nämlich unserem Mister Pike da drüben – er ist der Anführer der fünf, die mich heute begleiten.«
    Brif deutete diskret auf denjenigen in der kleinen Gruppe, der am grimmigsten aussah. Er hatte das Gebaren eines Mannes, der als Soldat Dienst geleistet hatte. Seine Kleider waren sauber und ordentlich gebügelt, sein Mantel schwer, aber nicht lang, seine nackten Arme kräftig und sein Haar kurz

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