Der Frühling - Hyddenworld ; 1

verlor, war ihr Kummer der einer Frau, und ihr ganzer Körper schmerzte, weil sie nicht tun konnte, was sie jetzt am liebsten getan hätte, nämlich die Zeit zurückdrehen und ihm
alles
sagen, ihm sagen, was sie nie hatte sagen können. Alles, was er war, mit allem, was sie war, verbinden.
    Oh, Jack, jetzt werde ich es dir niemals sagen können …
    Solche Gedanken gingen Katherine Shore durch den Kopf und quälten sie, während sie zusah, wie Jack zu verstehen versuchte, was geschehen und wohin sie verschwunden war.
    Er betrachtete die Kerze, die sie umgestoßen hatte, und sie flehte ihn in Gedanken immer wieder an, doch endlich zu begreifen, dass sie ihm auf diese Weise zu verstehen geben wollte, er solle umkehren.
Es ist eine Warnung, Jack,
versuchte sie zu rufen.
    Doch mit Entsetzen musste sie mit ansehen, wie ihre Tat bei ihm genau das Gegenteil bewirkte. Er reagierte nicht auf die Warnung, sondern auf die Liebe, die sie dazu trieb, sie zu wiederholen.
    Sie gab ihm nur die Kraft weiterzugehen – die Grenze des Henges zu überschreiten und sich dadurch in die Gewalt der Sinistral zu begeben.
    »Verzeih mir«,
flüsterte sie laut, doch ihre Stimme war nicht mehr als ein Säuseln des Winds im trockenen Gras.
»Ich habe nicht gewollt, dass du leidest, ich habe das alles nicht gewollt … Oh, Jack, kehr um, solange du noch kannst. Bitte …«
    Noch während sie diesen Gedanken in Worte fasste, wurde ihr bewusst, dass sie sich etwas vormachte. Ihre Liebe konnte ihn das Leben kosten, und dennoch wünschte sie sich sehnlich, dass er ihr folgte.
»Verzeih mir«,
flüsterte sie wieder. Und da sie nicht länger mit ansehen konnte, was zu verhindern nicht in ihrer Macht lag, drehte sie sich von ihm weg und wandte sich nach links, in die Richtung, die kein Mensch und kein anständiger Hydden jemals eingeschlagen sollte, wenn er ein Henge verlässt, denn sie führt zu finsteren Orten und macht eine Rückkehr um vieles schwerer.
    Dann sprach Katherine zu den Schatten, die sie festhielten. Sie sagte ihnen, was sie hören wollten, und gab ihnen zu verstehen, dass sie gewonnen hatten.
    »Nehmt mich«, sagte sie, »aber nicht ihn, auf keinen Fall ihn,
bitte.«
    Die Schatten veränderten ein letztes Mal ihre Gestalt, wurden deutlicher, erschreckend, erdrückend.
    »Willkommen«, sagten sie. »Willkommen!«
    Während einer Katherine aus dem Mondlicht in das Dunkel dahinter führte, trennten sich die anderen wieder, verweilten und sahen hämisch lachend zu, wie Jack versuchte, einen Weg zu ihr zu finden.
»Bitte nicht«,
flüsterte sie.
    Doch sie beachteten sie nicht, blieben stehen und warteten auf ihn, nur dunkle Schimmer zwischen den Schatten der Bäume.

46
ENTFÜHRT
    J ack sah die Kerze verlöschen. Gleichzeitig schwebten die seltsamen Schatten, schwärzer als die Nacht, über die freie Fläche des Henges und strebten dessen linker Seite zu. Da wusste er, dass Katherine für ihn so gut wie verloren war.
    Und dass sie gewonnen hatten, denn er musste ihr folgen, und genau das bezweckten sie. Aber wenn er ihr folgte, würde er wahrscheinlich nicht mit dem Leben davonkommen.
    Er dachte an die Warnung, die er von der Friedensweberin erhalten hatte, und zögerte.
    Dann hörte er in seinem Kopf Katherines Stimme, so deutlich wie nur irgend möglich:
»Geh zurück!«
    Sie flehte ihn um seinetwillen an, aber er wusste, dass er um ihretwillen nicht auf sie hören durfte.
    Er machte ein paar Schritte vorwärts. Die Schatten gerieten in Bewegung, wurden größer, kamen auf ihn zu. Da erkannte er, dass er weder die Macht noch die Waffen besaß, sie zu besiegen und Katherine zu retten.
    »Master Jack!«
    Es war eine Stimme, die er nicht kannte, eine ältere und männliche Stimme. Sie riss ihn aus dem Zustand der Verwirrung und Ungewissheit und hielt ihn davon ab, weiterzugehen.
    Dann wieder, von der anderen Seite des Henges: »Master Jack! Greifen Sie sie nicht an!«
    Die hoch aufragenden Schatten kamen nicht näher, als hätten auch sie die Stimme gehört. Stattdessen begannen sie, ihn einzukreisen. Ihre Knüppel schimmerten dunkel und wirkten riesig in der Nacht. Ihre Füße bewegten sich langsam und lautlos, und ihr Gang war geschmeidig, verriet aber Stärke und Kraft. Doch er konnte sie nicht richtig erkennen, als wären es viele, die sich immer wieder trenntenund zu neuen Schatten verschmolzen, deren Schöpfer sie selber waren.
    Als er sich in die Richtung drehte, aus der die Stimme erklungen war, schien es ihm, als wögen seine Glieder