Der Fuenf-Minuten-Philosoph
eigenständige Gottheit gibt, die sich vom Universum und der Natur unterscheidet, und dass alles um uns herum, einschließlich uns selbst, Gott ist. Oder wir können glauben, dass es einen separaten Gott gibt, der aber alles durchwirkt, und dass die physische Welt in ihrer Gesamtheit eine Verkörperung des Göttlichen ist. Für die zuletzt genannte Sichtweise wird zuweilen der Begriff Panentheismus oder »Gott in allem« gebraucht. Als Glaubensform beinhaltet der Pantheismus eine Art Animismus (von lateinisch anima für »Seele« oder »Leben«), eine philosophische oder religiöse Vorstellung, wonach sowohl die beseelte wie die unbeseelte Welt und alle Naturphänomene mit einer Seele oder einem Geist ausgestattet seien. Im Gegensatz zum reinen Animismus beinhaltet der Pantheismus die Vorstellung, dass anstatt von vielen Geistern alles von einer einzigen und ewigen Kraft beseelt sei. Diese Vorstellung vom innewohnenden Geist durchwirkt das Glaubensgewebe der frühesten Kulturen und zieht sich wie ein roter Faden durch die abendländische und auch östliche Ideengeschichte. »Gott ist die innewohnende und nicht die vergängliche Ursache aller Dinge«, schrieb der niederländische Philosoph Baruch de Spinoza. Dagegen heißt es im ›Rigveda‹, dem ältesten Teil der vier Veden: »Brahma ist der Ungeborene, in dem alle seienden Dinge weilen. Der Eine manifestiert sich als die Vielen, der Formlose prägt Formen auf.«
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»Ich glaube an Gott. Nur nenne ich ihn Natur.«
Franklin Lloyd Wright (1867–1959)
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Der Gedanke an eine innere Verbundenheit und gegenseitige Abhängigkeit von allem beinhaltet eine Vielfalt, die von einerzugrunde liegenden Harmonie zusammengehalten wird. Der griechische Philosoph Zenon von Elea (um 490–430 v. Chr.) vertrat die Ansicht, dass »Gott die Seele der Welt ist. Jeder von uns enthält einen Teil des göttlichen Feuers. Alle Dinge sind Teil eines einzigen Gefüges, das Natur heißt.« Dass Gott mit der Gesamtheit der Natur gleichzusetzen sei , erscheint als ein attraktiver Ansatz. Dass er etwas Gesondertes, aber in der Natur Seiendes sei, birgt das Problem einer Dualität: Es gibt Gott und etwas. Die meisten Religionen versuchen irrige Vorstellungen, die sich aus diesem Dualismus ergeben, zu überwinden. Der indische Philosoph und mystische Dichter Kabir (1440–1518) mahnte uns, »nur Eines in allen Dingen zu sehen; das Zweite führt einen in die Irre«. Baruch de Spinoza wurde wegen seines Pantheismus aus seiner jüdischen Gemeinde ausgeschlossen. »Gott ist alles, und alles ist Gott«, schrieb er und entwarf eine philosophische Anschauung, die sich praktisch mit denen einer Naturreligion deckte. Wenn es eine »etablierte« religiöse Philosophie gibt, die eine pantheistische Weltsicht vertritt, dann wahrscheinlich der Daoismus: Der chinesische Philosoph und Dichter Zhuangzi (365–290 v. Chr.) formulierte es treffend so: »Das Universum und ich existieren gemeinsam. Alle Dinge und ich sind eins. Der alle Dinge als eines sieht, ist ein Gefährte der Natur.«
Den Gedanken, dass Gott die Gesamtheit der Natur ist, werden viele von uns als angenehm befreiend empfinden, schiebt er doch die institutionellen Formen von Religion beiseite, befreit uns von Glaubensbekenntnissen und der Orthodoxie und befähigt uns, in der Natur das zu sehen, was uns am sinnvollsten erscheint: sei es eine Art transzendenter Geist oder eine naturwissenschaftliche oder mathematische Ästhetik.
B edeutet Darwinismus, dass Gott tot ist?
Nietzsche schildert hier ein Drama, das Teil einer Geschichte ist, die mit einem Irrsinnigen beginnt, der verzweifelt Gott sucht. »Wohin ist Gott?«, will er wissen. Mit dieser Parabel verkündet uns der Philosoph und Dichter, dass Gott im Herzen der modernen Menschen tot ist, getötet vom Rationalismus und der Wissenschaft. Die Evolutionstheorie Charles Darwins spielte wohl eine bedeutende Rolle in der »Wissenschaft«, die Nietzsche für Gottes Sturz verantwortlich machte. Darwins ›Die Abstammung des Menschen‹ , erschienen1871 , konfrontierte die Welt mit Gedanken, die die althergebrachten Überlieferungen der Bibel infrage stellten, insbesondere die, wonach Gott in sechs Tagen das Universum erschaffen und den Menschen – als Krönung seines Projekts – nach seinem Ebenbild gestaltet habe. Die Christenheit sah sich nun der alternativen Vorstellung gegenüber, wonach der Mensch von Vorfahren abstamme, die er mit Schimpansen teile. In der Folge wurde Gott für
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