Der Fuenf-Minuten-Philosoph
Gottes »geschaffen«?
In den biblischen Religionen wurzelt die Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit im Schöpfungsmythos des biblischen Buchs Genesis, bestätigte sich aber auch im Mythos von der Geburt Jesu, die als Fleischwerdung beschrieben wird. In der Schöpfungsgeschichte heißt es, wir seien Gott ähnlich. Und nachdem Neuen Testament nahm Gott mit der Geburt Jesu Menschengestalt an. Dabei gibt das Buch Genesis indes eine zweiteilige Darstellung der Erschaffung des Menschen. So erfahren wir in Kapitel 2, Vers 7: »Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. Da wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.« In Kapitel 5, Vers 1, taucht ein Stammbaum der Menschheit auf: »Das ist die Liste der Geschlechterfolge nach Adam: Am Tag, da Gott den Menschen erschuf, machte er ihn nach seinem Bilde.« Demnach ähneln wir Gott ziemlich so wie Kinder ihren Eltern.
Der biblische Schöpfungsmythos sagt aber nicht, dass unsere Ähnlichkeit mit Gott physischer Art sei. Wenn Jesus sagt: »Gott ist Geist« (Johannes 4, 24), so spricht der Hinweis, wonach der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sei, für eine andere Deutung. Vertreter einer fundamentalistischen Sichtweise der Schöpfung werden die Frage, ob wir nach dem Ebenbild Gottes geschaffen seien, im wörtlichen Sinn verstehen und bejahen, während andere sie so beantworten, dass wir ihm spirituell ähneln und so an seiner wesentlichen Natur teilhaben. Schon als heranwachsendes Kind können wir deswegen den Zustand eines höheren spirituellen Wesens anstreben. Dennoch sind wir nicht einfach Widerspiegelungen oder Klone des Göttlichen: Jeder von uns ist einzigartig. Nach der biblischen Theologie ist das Bild, das wir alle vermitteln, ein Zerrspiegel von Gottes Prägung.
Die Vorstellung, dass wir nach Gottes Ebenbild erschaffen seien, birgt ein theologisches Paradox. Traditionell wird unser Bild durch die »Sünden des Fleisches« beeinträchtigt. Der Leib ist für unsere spirituellen Probleme verantwortlich, und insofern wir nach dem Ebenbild Gottes erschaffen wurden, sind wir alle ein zu Fleisch Gewordenes. Mit der Erschaffung Adams als dem ersten Menschen wurde der Geist ein erstes Mal und mit der Geburt Jesu – als einem »zweiten Adam« – ein zweites Mal zu Fleisch. Aber vielleicht ignoriert man am besten diesen Geist-Leib-Dualismus, wie Gerhard von Rad (1901–1971) nahelegte: »Indessen wird man gut tun«, so der protestantische Theologe, »so wenig wie möglich das Leibliche und das Geistige zu zerreißen: Der ganze Mensch ist gottesbildlich geschaffen.«
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»Frage 3: Worin bestand das Bild Gottes, das dem Menschen bei seiner Schöpfung aufgeprägt wurde?
Antwort: 1. Negativ bestand das Bild Gottes in keiner äußerlich sichtbaren Ähnlichkeit seines Körpers mit Gott, da Gott keine körperliche Gestalt hatte.
2. Positiv bestand das Bild Gottes in der innerlichen Ähnlichkeit seiner Seele zu Gott, in Wissen, Rechtschaffenheit und Heiligkeit.«
Thomas Vincent (1634–1678)
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Östliche Überlieferungen breiten die Schöpfungsgeschichte und die göttliche Prägung auf einer Leinwand von deutlich größerem Format aus. Für Hindus hat Brahma eine Schöpfung angestoßen, die unvollendet ist und an deren fortdauerndem Prozess jeder, der seine Spiritualität entwickelt, Anteil hat. Das Bild von allem, was geschaffen wird, ist ein kollektiv entstehendes Mosaik, in das jeder sein einzigartiges Steinchen einfügt. Buddhisten kommen mit dem eingeprägten Wesen des Buddha zur Welt, das aber durch die Wolken irriger Vorstellungen, Begierden und Illusionen verdüstert wird. »Erkenntnis« und »Erleuchtung« beschreiben als Begriffe vollkommen ausreichend, was geschieht, wenn sich dem Einzelnen sein ureigenes unberührtes Selbst offenbart.
Wenn wir irgendwie, gleichsam als Gottes Vertreter, dessen Bild transportieren, können wir solchen Anforderungen gewiss nicht genügen. Welches »Bild« hier auch gemeint sein mag, es existiert als Möglichkeit. So erklärte denn auch die feministische Theologin Mary Daly (1928–2010), »das Ebenbild Gottes« sei »das schöpferische Potenzial in den Menschen«.
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Der Begriff »Pantheismus« leitet sich aus den beiden griechischen Wörtern pan für »alles« und theos für »Gott« her und bedeutet »alles ist Gott«. Zu dieser Vorstellung gelangen wir auf zwei Wegen. Wir können glauben, dass es keine absolute,
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