Der Fuenf-Minuten-Philosoph
wahrscheinlicher leisten wir einen originären statt eines nachahmenden Beitrags. Nur wenn die Epigenese aktiv ist, können wir uns geistig weiterentwickeln. Wenn sie inaktiv ist, degenerieren wir. Die geistig-spirituelle ist mit der biologischen Evolution der Menschheit verbunden, in deren Verlauf unser Bewusstsein sich bis zu einem Punkt weiterentwickelte, an dem wir uns mit »Spiritualität«, wie wir es nennen, wie auchmit anderen Formen der Abstraktion befassen können. In der Zeitschrift ›Scientific American‹ äußerte Michael Moyer dazu die Ansicht: »Insgesamt gesehen, bereiteten die evolutionären Anpassungen, die den Garten der menschlichen Gesellschaft erblühen ließen, auch dem Glauben an Gott einen fruchtbaren Boden.«
Wenn wir archaische Kulturen mit unserer eigenen vergleichen, fällen wir Werturteile, wonach wir weiter fortgeschritten, höher entwickelt, humaner und dergleichen seien. Das stimmt insofern, als wir uns spirituell und geistig seit Anbeginn der Menschheit weiterentwickelt und zur Schöpfung vieles in Form von Kunst, Technik und jeder Art Wissenschaft beigetragen haben. Dennoch reichte diese geistige Weiterentwicklung bisher nicht aus, um unsere Zivilisation von inhumanen Elementen zu befreien. Wir sind noch immer so gewalttätig wie unsere Vorfahren und nehmen auf unsere Umwelt ebenso wenig Rücksicht. Aber wir haben uns, kurz gefasst, aus primitiven Lebensformen zu intelligenten Schöpfern entwickelt, die sich ihres geistigen Potenzials bewusst sind.
Evolution ist etwas Ganzheitliches. Wir entwickeln uns nicht einfach geistig-spirituell, sondern in einer Vielzahl von Bereichen weiter, die komplex miteinander verwoben sind. Für den amerikanischen Autor Ken Wilber (* 1949) ist die geistig-spirituelle Weiterentwicklung untrennbar mit der des Bewusstseins verknüpft: »Der radikalste Wandel, der am tiefsten geht und die Welt am meisten bewegen würde, träte schlicht dann ein, wenn alle ein wahrhaft reifes, rational denkendes und verantwortungsbewusstes Ich ausbilden würden, das dazu fähig ist, frei an einem offenen Austausch in gegenseitiger Selbstachtung teilzunehmen. Das ist die ›Zeitenwende‹. Ein echtes Neues Zeitalter bräche an.«
H abe ich eine Seele?
Dass wir eine Seele hätten, sehen manche als den Grundirrtum der Menschheit, andere als das Grundprinzip des Lebens an. Der Begriff »Seele« ist so sehr mit Mängeln behaftet wie der Gottes. Wie jeder Begriff, der verschiedene Bedeutungen haben kann, verlieren wir aus dem Blick, was er eigentlich bedeutet. Für Sokrates spielte die Seele eine entscheidende Rolle in der Frage nach dem Zweck des Lebens: »Das Ende des Lebens ist wie göttlich sein. Die Seele, die dem Göttlichen folgt, ist dann wie dieses.« Sokrates sprach von der Notwendigkeit, die Unsterblichkeit der Seele zu hegen, zu nähren und zu hüten. Platon verglich den Philosophen mit einem Arzt, der für die Gesundheit und das Wohlergehen der Seele zuständig sei. Die griechische Überlieferung, welche die aufkommenden Glaubenslehren der biblischen Religion beträchtlich beeinflusste, sah die Seele als unsere individuelle Teilhabe am göttlichen Verstand, die uns von den (anderen) Tieren unterscheidet. Dieser »Teil« von uns ist unsterblich und transzendent, ist etwas, das sich vom denkenden Geist unterscheidet, jenseits von ihm liegt und mit dem wir die wahre Natur der Dinge erfassen. Für Aristoteles bildete die Seele die Form des Körpers und der Körper den Stoff oder die Substanz der Seele, eine Beziehung, die in die Anschauungen der jüdischen Religion einging. Das hebräische Wort nefesch im Alten Testament wird mit »Seele«, »Leben« oder »Lebensatem« übersetzt. Und im ›Buch der Sprüche‹ heißt es: »Eine Leuchte des Herrn ist des Menschen Geist; er durchforscht alle Kammern des Innern.« (20, 27) Gleichwohl scheidet das Judentum die Seele nicht vom Körper, sondern betont vielmehr, dass der Mensch ein aus Lebenskräften zusammengesetztes Ganzes sei. Der Leib ist der Tempel der Seele, die zu Fleisch gewordene Seele. In einer Weiterentwicklung dieser Vorstellung fasste dasChristentum die Seele als den Teil des Menschen auf, der den physischen Tod überdauert. Der Evangelist Matthäus weist auf ihre entscheidende Bedeutung hin: »Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele.« (16, 26)
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»Man hat keine Seele. Man ist eine Seele. Man hat einen Körper.«
C. S. Lewis
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