Der Fuenf-Minuten-Philosoph
Agnostizismus berechtigt?
Der Begriff »Agnostizismus« von griechisch a-gnosis bedeutet »ohne Wissen«. Er weist nicht unbedingt auf einen Zweifel hin, sondern beruht vielmehr auf der Einsicht, dass unser Wissen begrenzt ist. Er lässt eine gewisse geistige Offenheit und die Möglichkeit zu, dass der Agnostiker vom Ungewissen zum gesicherten Wissen voranschreiten kann. Eingeführt wurde der Begriff von Thomas Henry Huxley (1825–1895) im Jahr 1876 in einer Ansprache vor der Metaphysical Society. Huxley lehnte in seiner Philosophie das Mystische und Spirituelle als gültige Kategorien des Wissens ab und beschrieb mit dem Begriff seine Weltanschauung. Der Agnostizismus beinhaltet nicht unbedingt einen Atheismus, aber ein Atheist würde sich mit Sicherheit als Agnostiker bezeichnen. Der Begriff wurde auf anderen Gebieten wie der Philosophie und der Psychologie in dem Sinn gebraucht, dass etwas nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand »nicht wissbar« ist, was sich aber ändern kann, wenn neue »Hinweise« oder Fakten auftauchen. Ein Agnostizismus kann auch teilweise oder provisorisch zum Beispiel dann vertreten werden, wenn man Aussagen mit dem Ausdruck »ich glaube« relativiert.
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»Kaiser Bu von Ryô fragte den Großmeister Bodhidharma: ›Was ist der höchste Sinn der Heiligen Wirklichkeit?‹ Bodhidharma sagte: ›Offene Weite – nichts von heilig.‹ Der Kaiser fragte: ›Wer bist du, der du mir gegenüberstehst?‹ Bodhidharma sagte: ›Ich weiß es nicht.‹«
› Biyan Lu ‹ , › Niederschrift von der smaragdenen Felswand ‹ (um 1300)
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Der Agnostizismus ist die Kampfansage der Philosophie an die Metaphysik und den Fideismus, dem zufolge dem Glauben vor der Vernunft absoluter Vorrang gebühre. Damit reicht seine Geschichte bis weit hinter Huxleys Begriffsprägung zurück. Seine Ursprünge liegen im vorsokratischen Skeptizismus und bei den Philosophen der Platonischen Akademie. Wie wir unseres Wissens gewiss sein können (siehe Kapitel 1), ist eine wichtige Fragestellung, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Philosophie zieht. Die Frage lautet, wie wir Wissen erwerben und mit welchen Mitteln wir es überprüfen können. Im weitesten Sinn ist Agnostizismus keineswegs unvereinbar mit einer tiefen Religiosität. Wir haben gesehen, dass Glaube und Zweifel koexistieren. Die meisten religiösen Menschen können die Bitte des Vaters nachvollziehen, als dieser seinen besessenen Jungen zu Jesus brachte: »Ich glaube; hilf meinem Unglauben!« (Mk 9, 24) Der deutsche Philosoph Nikolaus von Kues (1401–1464), obwohl Kardinal und Generalvikar im Kirchenstaat, vertrat einen christlichen Agnostizismus. Ein Prinzip seines Denkens war die »belehrte Unwissenheit«, die seiner Meinung nach der Wahrheit so nahe komme, wie es dem menschlichen Geist möglich sei. Ein agnostisches Judentum wird von einer Gruppevertreten, die sich mit dem Judentum identifiziert, aber ohne die rabbinische Tradition der Religion zu praktizieren. Bei der Darlegung eines agnostischen Buddhismus schrieb der Autor Stephen Batchelor (* 1953): »Ein tiefgründiger Buddhismus wäre einer, der auf dieser Art Unwissenheit aufbaut: auf dem Eingeständnis, das ich in der Frage, was das Leben wirklich ist, keine Antwort habe.«
Der Agnostizismus wird manchmal auf die sogenannte »gesunde Skepsis« bezogen, eine zweifelnde Haltung gegenüber Wissen überhaupt oder gegenüber einem bestimmten Gedanken. Sie beschreibt eine Art schwebendes Verfahren nach dem Motto: »Schauen wir mal, dann sehen wir schon«. Sie hält den Geist »auf gesunde Weise« so lange offen, bis eine Vorstellung oder Tatsache bestätigt oder widerlegt werden kann. Der Agnostizismus ist insofern ein spannendes Gebiet, als er davon ausgeht, dass das religiöse Leben, anstatt eines festgefügten Satzes an Gedanken und Lehren eine Entdeckungsreise darstelle. Dabei finden wir allerdings nur selten das, wonach wir zu suchen meinten.
Ist Atheismus der Mut zum Unglauben?
Atheist zu sein, erfordert Mut, obwohl die atheistische Position die einzig rationale ist. In das Dilemma, das Voltaire formulierte, geraten offenbar viele: »An Gott zu glauben ist unmöglich, nicht an Ihn zu glauben, ist absurd.« Der Atheist soll ebenso gläubig sein wie ein Glaubender. Unglaube vertraut auf das Fehlen empirischer Nachweise, Glaube auf das unwiderlegbare, aber subjektive Argument der persönlichen Erfahrung. Gut nachvollziehbar ist das Bekenntnis eines anonymen Suchenden: »Ich
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