Der fünfte Attentäter: Thriller (German Edition)
verlorenen Lebens ihres Vaters nahm sie nur flüchtig wahr. Aber als sie das Datum von Nicos Einberufung zum Militärdienst sah, drei Jahre, bevor sie geboren wurde, bemerkte Palmiotti, wie ihre Hände zu zittern begannen.
Clementine hatte so lange auf diesen Moment gewartet. Endlich Einzelheiten zu erfahren, Dokumente zu sehen, den Beweis dafür zubekommen, was sie mit ihm gemacht hatten und dadurch indirekt auch mit ihr. Was auch immer sie Nico eingeflößt hatten, es war die einzige Erklärung für den unbekannten Krebs, unter dem sie heute litt. Ihre Ärzte behaupteten, so etwas hätten sie noch nie gesehen. Diese Art von Krebs … Er würde gar nicht existieren, er wäre eine neue Mutation. Als Clementine zu den Seiten kam, die mit psychologische und medizinische Aufzeichnungen überschrieben waren, spürte sie, wie ihr die Tränen kamen, was sie selbst überraschte.
»Sind Sie okay?«, fragte Palmiotti sie.
Clementine blickte hoch, überrumpelt von der Frage. Er hatte doch, was er wollte.
»Womit hat er Sie in der Hand?«, rief sie aus.
»Wie bitte?«
»Meine Bemerkung von vorhin war ernst gemeint. Ich habe Ihren Nachruf gelesen. Was Sie getan haben … Die ganze Welt glauben machen, dass Sie tot sind … Sie mussten Ihre Frau verlassen …«
»Meine Exfrau.«
»Und Ihre beiden Kinder.«
»Meine Kinder haben schon seit Jahren nicht mehr mit mir geredet.«
»Aber Ihr Leben.« Clementine blickte auf den Aktenordner. »Sie haben Ihr ganzes Leben zurückgelassen, und wofür das alles? Für einen Präsidenten? Für einen einzigen Mann? Womit zum Teufel hat Wallace Sie in der Hand?«
»Das fragen Sie mich? Was ist denn mit Ihrem eigenen Leben? Sie vergraben sich in Michigan. Sie haben kein Zuhause. Und wozu, Clementine? Nur um Nicos Akte zu bekommen?«
»Er ist mein Vater.«
»Spielen Sie mir jetzt nicht die verletzte Tochter vor. Wir wissen alle, dass Sie es nicht deshalb getan haben«, sagte Palmiotti provozierend. »All das Leid, das Sie verursacht haben … Das war nicht wegen Ihres Vaters, sondern um ihrer selbst willen, Clementine. Sie haben all das Ihretwegen getan. Und jetzt, da Sie die Akten und alles andere haben, was Sie wollten, glauben Sie tatsächlich noch, es spielte eine Rolle, wie wir bis zu diesem Punkt gekommen sind? Sie wollten etwashaben, deshalb haben Sie getan, was Sie tun mussten, um es zu bekommen. Die einzige Frage, die zu stellen sich lohnt, lautet: War das die ganze Sache wert?«
Clementine starrte auf den Aktenordner und las erneut den Namen ihres Vaters auf dem sich langsam ablösenden blau-weißen Aufkleber. Sie dachte daran, dass sie noch zwei Tage ihres aktuellen Chemo-Zyklus vor sich hatte, was bedeutete, ihre Zehen würden anfangen zu kribbeln, ihr würde schrecklich übel sein, und ihr Durchfall würde sich verschlimmern. Also, war das die Sache wert?
»Das hängt davon ab, was ich finde«, erwiderte sie, klappte den Ordner zu und rutschte aus der Nische. Sie war schon im Gehen begriffen, als sie sich noch einmal umdrehte. »Ganz gleich, was für ein Drecksack Ihr Boss ist, es tut mir leid, dass Sie wegen all dem Ihr Leben verloren haben.«
»Ja …«, flüsterte er, als Clementine an der Reihe von roten Einkaufswagen vorbeiging und durch die Tür verschwand. »Mir auch.«
Geschlagene zwei Minuten blieb er dort in der knallroten Nische sitzen. Und in diesem Augenblick hatte Dr. Stewart Palmiotti eine geniale Idee.
Er rief jemanden an. A. J., der damit sofort zum Präsidenten gehen würde. »Ich weiß, was wir wegen Beecher unternehmen können«, sagte er.
15. KAPITEL
Heute
Crystal City, Virginia
Knapp eine Stunde später stehe ich vor Marshalls Wohnblock in Virginia. Ich starre auf mein Smartphone und tue so, als würde ich eine Textnachricht eintippen. Dadurch werde ich quasi unsichtbar für die Vorbeifahrenden, auch für den Anwalt mit dem teigigen Gesicht in dem schwarzen Acura, der sich nicht einmal die Mühe macht, mich anzusehen. Das ist der erste Fehler des Anwalts. Nein, das nehme ich zurück. Sein erster Fehler ist das persönliche Nummernschild, auf dem L8 4 CRT steht . Seinen zweiten Fehler begeht er, indem er auf die Zufahrt an der Rückseite von Marshalls Wohnhaus einbiegt.
Natürlich habe ich zuerst versucht, vorn hineinzukommen. Aber schon als ich mich den Glastüren des modernen Mietshauses näherte, sah ich, was mich drinnen erwartete. Ein mürrischer Sicherheitsmann am Empfangstresen und eines dieser Hightech-Intercom-Systeme, das
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