Der fünfte Attentäter: Thriller (German Edition)
mittels einer sehr gut platzierten Kamera den Bewohnern erlaubt, zu sehen, wer vor der Tür steht, bevor sie ihn hereinlassen.
Wenn ich Marshalls echte Reaktion haben will, wäre es besser, wenn er mich nicht kommen sähe.
Was mich zum dritten Fehler des Acura-Fahrers führt. Nämlich dass er glaubt, ich käme nicht in dieses Gebäude hinein, nur weil es eine Tiefgarage mit einem Sicherheitscode hat, der Fremde fernhalten soll.
Ich tue immer noch so, als würde ich eine SMS auf meinem Smartphone schreiben, und gehe dabei gelassen weiter. Ich stelle es so an, dass ich unmittelbar hinter dem Acura bin, als der Anwalt sich aus dem Seitenfenster lehnt und seinen sechsstelligen PIN-Code in den Zahlenblock tippt.
151916.
Ich gehe weiter, als das Garagentor hochfährt und sich wiederschließt. Als er weg ist, mache ich kehrt, gehe zu dem Zahlenblock und tippe 151916 ein.
Es rasselt laut und metallisch, als das Garagentor wieder hochfährt, und ein dunkler Schlund begrüßt mich. In der Luft schweben Staubflocken, die in der Sonne leuchten. Aber als ich meinen Fuß auf die abschüssige Zufahrt setze, bemerke ich zwei glänzende schwarze Schuhe und eine Hose mit perfekter Bügelfalte, die mir den Weg versperren. Noch bevor das Rolltor sich ganz geöffnet hat, weiß ich, wer das ist.
»Halten Sie mich für blind?«, fährt mich der Sicherheitsmann vom Empfang an. »Ich habe gesehen, wie Sie die Vorderseite des Gebäudes gecheckt haben!« Auf dem Ausweis an seiner Hemdtasche steht sein Name: Lance Peterzell. Seinem massigen Körper und dem kurzen Haarschnitt nach zu urteilen ist er sicher ein ehemaliger Militär. »Glauben Sie wirklich, dass wir hier hinten keine Kameras haben?«
Jetzt sehe ich die Kamera auch. Sie hängt in der Ecke vor der Garage. Es ist eine Miniaturkamera, etwa so groß wie ein Diktiergerät. Ich habe solche Kameras schon einmal gesehen. Wenn man ins Weiße Haus eincheckt.
»Was fällt Ihnen eigentlich ein?«, schreit er.
Ich versuche, mich zu entschuldigen, aber er marschiert auf mich zu. Ich stolpere rückwärts die Zufahrt hinauf.
»Ich … Ich wollte nur …« Ich stolpere über meine eigenen Füße und wäre fast rücklings auf den Boden geschlagen.
»Ich könnte Sie wegen unerlaubten Betretens …!«
Er hat sich vor mir aufgebaut, unterbricht sich dann jedoch und verstummt. Er konzentriert sich nicht mehr auf mich. Er sieht etwas anderes …
Hinter mir.
Ich drehe mich in dem Moment um, als der marineblaue SUV quer zur Einfahrt zum Stehen kommt. Das Beifahrerfenster fährt herunter, und ich sehe den Fahrer. Einen Mann mit schwarzen Haaren, einem scharf gezogenen Scheitel und einem unregelmäßigen Gesicht. Seine Triefaugen haben die Farbe von Weißwein. Ich erkenne ihn sofort.Das ist der Kerl auf dem Polizeifoto. Aber ich kenne ihn ja schon sehr lange.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stößt Marshall die Beifahrertür auf und bedeutet mir mit einem Winken, einzusteigen.
Ich zögere.
»Bist du nicht deswegen hier, Beecher? Um mich zu finden?« Marshalls Stimme klingt so rau, wie sein Gesicht aussieht.
Totte würde mir raten, einfach weiterzugehen. Er würde sagen, in Marshalls Auto einzusteigen, kann auf keinen Fall zu etwas Gutem führen. Aber wenn es um Marshall geht, versteht Totte ohnehin nichts. Es gibt im Leben sehr viele Gründe, warum wir zu dem werden, der wir sind. Marshall hat eine kleine, aber bemerkenswerte Rolle in meiner Kindheit gespielt. Doch was ich ihm angetan habe … in jener Nacht im Keller … Ich habe Marshall dadurch für immer verändert.
»Du bist also den ganzen weiten Weg gekommen, um jetzt einfach nur herumzustehen?«, provoziert er mich. Er atmet geräuschvoll durch die Nase ein wie ein Bulle. Falls ich geglaubt habe, er hätte mir nach all den Jahren vergeben, habe ich mich geirrt.
Marshall sitzt in seinem SUV und mustert mich mit seinen hellen Augen auf eine seltsam ruhige Art, so als wäre ich die einzig existierende Person auf der Welt. Selbst aus der Entfernung kann ich sehen, dass er wie aus dem Ei gepellt wirkt. Und er hält das Steuerrad nur mit den Fingerspitzen.
Aber obwohl sein Blick mich zu durchbohren scheint, merke ich, dass er mich nicht unter Druck setzt. Er beobachtet nur, ohne jedes Zeichen von Ungeduld. Er wartet darauf, dass ich eine Entscheidung treffe.
Ich kann förmlich hören, wie Totte mich anschreit, mich von dem Wagen fernzuhalten. Genau das sollte ich auch tun.
Auf der Landkarte meines Lebens
Weitere Kostenlose Bücher