Der fünfte Attentäter: Thriller (German Edition)
religiösen Familie, aber es war Kenneth gewesen, der seine Mutter sonntags in die Kirche gezerrt hatte. Deshalb war er der einzige Fünfjährige in ihrer armseligen Kleinstadt in Indiana, der eine Krawatte binden konnte. Damals fühlte sich Kenneth zur Kirche hingezogen, weil sie der einzige Ort war, an dem ihr Vater sie beide nicht verprügelte. Als er jedoch älter wurde, fühlte sich Kenneth vom Mysterium der Kirche angezogen – von der Art und Weise, wie sie das Leben der Menschen bereicherte, jenseits von allem, was man anfassen, fühlen und begreifen konnte.
»Irgendjemand hier außer Gott?«, rief Frick. Er machte diesenWitz jeden Morgen und kannte die Antwort. Abgesehen von dem Küster war er immer der Erste, der hereinkam. Punkt neun, wie es seine Gewohnheit war.
Frick war erst vor vier Monaten dieser Kirche zugeteilt worden. Eigentlich war er Hilfsgeistlicher und hatte die Amtsgeschäfte nur so lange übernommen, wie der reguläre Pastor durch Neuseeland reiste. Frick empfand es als Segen, auserwählt worden zu sein, aber er brauchte über einen Monat, um den Mut aufzubringen, die kostenlosen Frucht-Smoothies abzuschaffen, mit denen die Gemeindemitglieder zum Spätgottesdienst am Sonntag gelockt wurden. Immerhin war das hier Lincolns Kirche. Einen Digitalmonitor für einen Versicherungsnachweis am Schuh zu tragen war eine Sache. Aber Leute mit Smoothies zu bestechen war eine ganz andere.
Pastor Frick ging an den Toiletten vorbei durch den Hauptgang in die Hauptbüros. Er schlängelte sich zwischen den Schreibtischen hindurch zu seinem Büro im hinteren Teil. Durch das Milchglas der Tür sah er, dass das Licht im Büro ausgeschaltet war. Das Glas war zu alt und zu dick, um mehr erkennen zu können.
Jeder Pastor hat seine Rituale. Nachdem er um 9:05 Uhr sein Büro betreten und die Tür hinter sich geschlossen hatte, machte Frick das, was er jeden Morgen tat. Er hängte seinen Mantel auf, wie immer auf den mittleren Haken, nahm die Bibel aus dem Buchregal und begann seine morgendlichen Gebete. Fast zwanzig Minuten lang stand er betend da und blickte aus dem breiten Glasfenster, das sich direkt hinter seinem antiken Schreibtisch aus Ahornholz befand. Er konnte das Spiegelbild seines runden Gesichts und des Grübchens in der Scheibe sehen.
Links von ihm war eine Tür, die in sein privates Bad führte. Sie war normalerweise offen. An diesem Morgen jedoch war sie aus irgendeinem Grund geschlossen.
Frick dachte nicht darüber nach. Mitten in seinem Gebet blickte er auf den digitalen Zähler auf seinem Schuh. Er wollte nicht seine Schritte zählen, sondern herausfinden, wie spät es war.
Auf dem kleinen Bildschirm klickte der digitale Anzeiger von 9:24 …
… auf 9:25 Uhr.
Auf dem Boden lag ein Teppich mit einem Muster aus grünen und gelben Blättern, der das Büro wärmer erscheinen ließ und die Schritte dämpfte. Der Eichenboden knarrte, als jemand fast unmerklich sein Gewicht verlagerte.
Dann drückte der Ritter auf den Abzug. Zweimal.
Der Körper des Pastors zuckte heftig, als eine der Kugeln in seinem Rücken einschlug.
Wieder eine Mission erfüllt. Zum zweiten Mal hatte sich die Geschichte wiederholt.
14. KAPITEL
Sechs Tage früher
Ann Arbor, Michigan
»Möchten Sie etwas bestellen, Sir?«, fragte die dünne Schwarze mit der fleckigen Haut hinter dem Tresen.
»Noch nicht. Ich warte auf jemanden«, antwortete Dr. Stewart Palmiotti. Er saß auf der knallroten Bank in der Nische und ließ erneut seinen Blick durch das kleine Schnellrestaurant unmittelbar hinter dem Eingang zum Target-Einkaufszentrum schweifen.
Er wusste, warum sie es ausgesucht hatte. Es war hell beleuchtet und sicher, weil so viele Leute sie beobachteten. Außerdem war die Botschaft unmissverständlich, da sie sich hier in Ann Arbor trafen, Wallaces Alma Mater. Wenn der Präsident nicht lieferte, was sie haben wollte, würde sie jedes noch so kleine Stück seines Lebens auseinandernehmen.
»Sie sollten die Hotdogs probieren«, verkündete eine weibliche Stimme hinter ihm. »Sie sind besser, als man vermuten würde.«
Noch bevor Palmiotti sich umdrehen konnte, stand die Frau in dem eleganten braunen Mantel neben ihm und blickte auf ihn herunter. Ihr kurzes Haar war blond gefärbt. Aber er kannte das Grinsen. Es war dasselbe Grinsen wie auf dem Gesicht ihres Vaters, des Präsidentenattentäters, besser bekannt als Nico.
»Wissen Sie, nach Ihrer Beerdigung habe ich Ihren Nachruf gelesen. Man hat Sie weit vorteilhafter
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