Der Fünfte Elefant
»Und der Um-
stand, dass ich meinem Instinkt vertraue. Kannst du sehen, wer
uns beobachtet?«
»Ach, das Spiel?« Sybil lächelte zufrieden und fuhr in unverdächtigem Plauderton fort: »Praktisch al e. Aber wenn ich Preise vertei-
len müsste, würde ich die traurige Dame in der kleinen Gruppe
links von dir in die engere Wahl ziehen. Sie hat Vampirzähne, Sam.
Und sie trägt Perlen. Das eine passt nicht unbedingt zum anderen.«
»Siehst du Wolfgang?«
»Äh, nein. Da du es jetzt erwähnst… Eigentlich seltsam. Eben
war er noch da. Hast du die Leute in Unruhe versetzt?«
»Viel eicht habe ich dazu beigetragen, dass sich die Leute gegen-
seitig in Unruhe versetzen«, sagte Mumm.
»Das freut mich für dich. Darauf verstehst du dich gut.«
Mumm drehte sich halb um, wie jemand, der sich einen Ein-
druck von der Umgebung verschaffen möchte. Zwischen den
menschlichen Gästen wanderten Zwerge hin und her, bildeten
einzelne Gruppen. Fünf oder sechs versammelten sich und spra-
chen aufgeregt miteinander. Dann ging einer fort und schloss sich
einer anderen Gruppe an, während jemand anders seinen Platz in
der ersten einnahm. Manchmal löste sich eine ganze Gruppe auf,
und ihre Angehörigen stoben wie die Trümmer nach einer Explo-
sion auseinander: Jeder von ihnen strebte in eine andere Richtung,
um sich einer neuen Gruppe hinzuzugesellen.
Mumm gewann den Eindruck, dass sich eine Struktur hinter die-
sen Bewegungen verbarg, ein langsamer, zielstrebiger Tanz der
Information. Schachtversammlungen, dachte er. Kleine Gruppen, denn für mehr reicht der Platz nicht aus. Und man spricht nicht zu laut. Und wenn die Gruppe entscheidet, wird jedes Gruppenmitglied zu einem Botschafter dieser Entscheidung. Die Nachricht breitet sich kreisförmig aus. Eine ganze Gesellschaft, die auf formellem Klatsch basiert.
Mit der gleichen Methode, so überlegte Mumm, konnte man die
Frage diskutieren, ob zwei und zwei wirklich vier ergab. Nach lan-
gen Debatten und gründlichen Erwägungen mochte die Gruppe zu
dem Schluss gelangen, dass zwei und zwei vier und ein bisschen
ergab, außerdem vielleicht auch noch ein Ei.*
Manchmal blieb ein Zwerg stehen und starrte, bevor er den Weg
fortsetzte.
»Man erwartet uns zum Essen«, sagte Sybil und nickte in Rich-
tung einer hel erleuchteten Höhle. Die meisten Anwesenden
strebten dorthin.
»Lieber Himmel. Bier schlabbern? Gebratene Ratten? Wo ist
* Mumm hatte einmal mit Karotte über die ephebianische Idee der »De-
mokratie« gesprochen. Die Vorstellung, dass jeder** eine Stimme hatte, faszinierte ihn sehr, bis er sich folgender Erkenntnis stellen musste: Zwar hatte er, Mumm, eine Stimme, aber die Vorschriften konnten nicht verhindern, dass Nobby Nobbs ebenfalls eine bekam. Mumm erkannte den
Nachteil der Demokratie sofort.
** Abgesehen von Frauen, Kindern, Sklaven, Idioten und Leuten, die einfach nicht die richtigen Leute waren.
Detritus?«
»Dort drüben. Er spricht mit dem Kulturattaché von Gennua.
Ich meine den Mann mit den glasigen Augen.«
Sie näherten sich und hörten, wie Detritus ziemlich wortreich er-
klärte:
»… und dann da ist ein großer Raum mit vielen Sitzen drin, und
die Wände rot sind, und dicke goldene Babys eine Säule hinaufklet-
tern, aber mach dir keine Sorgen, es nicht sind richtige Babys, sie nur bestehen aus Gips oder so…« Es entstand eine kurze Pause,
als Detritus nachdachte. »Und ich auch nicht glaube, dass es ist
richtiges Gold, denn irgendein Mistkerl es längst geklaut hätte…
Und vor der Bühne es eine große Grube gibt, und da drin die Mu-
siker sitzen. Und das alles wäre für diesen Raum. Im nächsten Zimmer viele Marmorsäulen stehen, und rote Teppiche auf dem Bo-
den liegen…«
»Detritus?«, fragte Lady Sybil. »Du hast diesen Herrn doch nicht
etwa mit Beschlag belegt, oder?«
»Nein, ich ihm erzähle alles über unsere Kultur in Ankh-
Morpork«, erwiderte Detritus hochtrabend. »Ich jeden Zentimeter
vom Opernhaus kenne.«
»Ja«, bestätigte der Kulturattaché von Gennua benommen. »Ich
muss sagen, dass ich es gar nicht abwarten kann, die Kunstgalerie
zu besuchen und…« Er schauderte. »… ›zu sehen das Bild der
Frau, ich glaube, der Künstler nicht wusste, wie man malt ein rich-
tiges Lächeln, aber der Rahmen sicher den einen oder anderen
Blick wert ist.‹ Klingt nach einer überaus wichtigen Erfahrung.«
»Wisst ihr, ich nicht glaube, dass er versteht viel von Kultur«,
sagte
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