Der Fünfte Elefant
Aufregung
und irrer Dummheit zur Schau stellten.
Gaspode bemerkte einen Pferch bei den Absperrungen, fand
durch den Wald aus Beinen einen Weg dorthin und blickte durchs
hölzerne Gitter zu dem Haufen aus grauem Fell in einer dunklen
Ecke.
»Scheinst in keiner sehr angenehmen Situation zu sein, Kumpel«,
sagte er.
Im Gegensatz zu den Legenden – und es gibt viele Legenden
über Wölfe, besser gesagt: Legenden darüber, wie Menschen über
Wölfe denken – neigt ein gefangener Wolf nicht zur Raserei, son-
dern eher dazu, verängstigt zu heulen.
Doch dieses Exemplar hatte offenbar den Eindruck gewonnen,
dass es nichts mehr zu verlieren gab. Ein schaumbedecktes Maul
schnappte nach den Gitterstäben.
»Wo ist der Rest deines Rudels?«, fragte Gaspode.
»Kein Rudel, Winzling!«
»Ah. Ein einsamer Wolf, wie?« Die schlimmste Art, dachte
Gaspode.
»Ein Brathähnchen ist so etwas nicht wert«, murmelte er. Etwas
lauter knurrte er: »Hast du andere Wölfe in der Nähe gesehen?«
»Ja!«
»Gut. Möchtest du diese Sache lebend überstehen?«
»Ich töte sie al e!«
»Ja, ja, aber es sind Dutzende. Sie werden dich regelrecht zerfet-zen. Hunde können viel gemeiner sein als Wölfe.«
Der Wolf kniff die Augen zusammen.
»Warum sagst du mir das, Hund?«
»Weil ich dir helfen will, klar? Wenn du tust, was ich dir sage,
könntest du in einer halben Stunde frei sein. Andernfal s dienst du
morgen irgendwo als Fußabtreter. Die Wahl liegt bei dir. Vielleicht
bleibt für einen Fußabtreter nicht einmal genug von dir übrig.«
Der Wolf lauschte dem Bellen der Hunde. An ihrer Absicht
konnte nicht der geringste Zweifel bestehen.
»Was hast du vor?«, fragte er.
Einige Minuten später wich die Menge beiseite, als Karotte sein
Pferd zu dem Pferch lenkte. Das laute Stimmengewirr verklang.
Ein Schwert auf einem Ross gebietet immer Respekt, der Reiter ist
dabei oft nur ein unwichtiges Detail.
Doch hier lag der Fall anders. Die Zeit bei der Wache hatte Ka-
rottes Muskeln besonders zur Geltung gebracht.
»Guten Tag«, sagte er. »Wer ist das Oberhaupt eurer Gemein-
schaft?«
Nach mehreren Statusvergleichen hob schließlich ein Mann vor-
sichtig die Hand. »Ich bin der stellvertretende Bürgermeister, Euer
Gnaden.«
»Was findet hier statt?«
»Wir wol en einen Wolf hetzen, Euer Gnaden.«
»Tatsächlich? Ich habe einen außergewöhnlich starken und tapfe-
ren Wolfshund. Erlaubt ihr ihm, seine Fähigkeiten an eurem Wolf
zu beweisen?«
Die Leute murmelten, und es lief auf Folgendes hinaus: Warum
nicht? Außerdem war da dieses sonderbare Lächeln…
»Nur zu, Euer Gnaden«, sagte der stellvertretende Bürgermeister.
Karotte steckte zwei Finger in den Mund und pfiff. Die Dorfbe-
wohner beobachteten erstaunt, wie Gaspode zwischen ihren Bei-
nen zum Vorschein kam und sich setzte. Gelächter erklang.
Schon nach kurzer Zeit wurde es wieder still, denn das Lächeln
verschwand nicht.
»Gibt es irgendein Problem?«, fragte Karotte.
»Er wird ihn in Stücke reißen!«
»Habt ihr etwa Mitleid mit dem Wolf?«
Erneut lachten die Leute. Der stellvertretende Bürgermeister hat-
te das Gefühl, dass er auf den Arm genommen wurde.
»Es ist dein Hund«, sagte er und zuckte mit den Schultern.
Der kleine Hund bel te.
»Und um alles noch interessanter zu machen, wetten wir um ein
Pfund Steak«, sagte Karotte.
Der Hund bel te erneut.
»Um zwei Pfund Steak«, verbesserte sich Karotte.
»Oh, ich schätze, es wird auch so interessant genug«, meinte der
stellvertretende Bürgermeister. Das Lächeln ging ihm al mählich
auf die Nerven. »Na schön, Jungs. Holt den Wolf!«
Das knurrende Tier wurde in den Absperrungskreis gezerrt.
»Nein, bindet den Wolf nicht an«, sagte Karotte, als ein Mann die
Leine um einen Pfahl schlingen wollte.
»Er flieht, wenn wir ihn nicht festbinden.«
»Dazu bekommt er keine Gelegenheit, glaub mir.«
Die Leute sahen das Lächeln, zogen den Maulkorb fort und
sprangen in Sicherheit.
»Falls du jetzt mit dem Gedanken spielen solltest, dich nicht an
unsere Vereinbarung zu halten…«, sagte Gaspode zu dem Wolf.
»Ich schlage vor, du siehst dir das Gesicht des Burschen auf dem
Pferd an.«
Der Wolf blickte auf und bemerkte das Lächeln des Reiters.
Gaspode bellte. Der Wolf jaulte und rollte sich auf den Rücken.
Die Menge wartete. Und dann…
»Das ist alles ?«
»Ja, so läuft es normalerweise«, bestätigte Karotte. »Wisst ihr, es
ist ein besonderes Bel en. Das
Weitere Kostenlose Bücher