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Der fünfte Mörder

Titel: Der fünfte Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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Einkommensteuer, die Herr May abführen musste, rechnete ich im Stillen, das machte mindestens fünfhundert. Fünfhundert Euro, für die man eine energiesparende Waschmaschine mit teenagerkompatibler Menüsteuerung kaufen könnte. Fünfhundert Euro, von denen der Staat weder mein Büro neu streichen noch die Schule meiner Töchter renovieren würde, sondern die er vermutlich irgendwelchen ohnehin bankrotten Banken in den Rachen schmeißen würde. Fünfhundert Euro wären ein kleiner Ausgleich für ungezählte und unbezahlte Überstunden …

17
    Das lange und kunterbunte Klingelschild des schmucklosen Altbauhauses in der Mönchgasse verriet, dass hier vorwiegend Studenten wohnten. Versuchsweise drückte ich den untersten Knopf. Augenblicke später summte der Öffner der Haustür aus Gitterglas und braun eloxiertem Aluminium. Im düsteren Hausflur standen unter klapprigen Briefkästen teure Fahrräder sowie ein Kinderwagen, der nicht aussah, als wäre er in den letzten Jahren artgerecht bewegt worden. Modermief vermischte sich mit Räucherstäbchenduft.
    Eine Wohnungstür quietschte, und ein verschlafenes Mondgesicht mit Mandelaugen starrte mich an.
    Â»Wat isss?«, wollte das Wesen wissen, das in einem unförmigen matschgrauen Trainingsanzug steckte. »Isss irjentwatt?«
    Der Stimme nach zu schließen, war das Wesen weiblich. Ich zückte meinen Dienstausweis.
    Â»Hier im Haus soll ein Fahrradkurier wohnen.«
    Â»Ben«, seufzte es mit erschöpftem Blick zur Decke. »Unterm Dach reschts.«
    Â»Hat dieser Ben auch einen Nachnamen?«
    Â»Hat ja jeder. Fragen Sie ihn einfach.«
    Je höher ich stieg, desto wärmer und muffiger wurde es. Das Haus hatte fünf Etagen. Ab der dritten waren die Stufen aus Holz und nicht mehr aus Stein.
    Oben angekommen, verharrte ich einige Sekunden, um wieder zu Atem zu kommen. Es wurde dringend Zeit, wieder einmal etwas für die Fitness zu tun. Im Winter war es für Bewegung im Freien meist zu kalt gewesen, oder es hatte geregnet oder gestürmt, oder ich hatte – wenn ausnahmsweise keine dieser Ausreden galt – keine Lust gehabt. Erst Ende März war es dann plötzlich warm geworden. Notgedrungen war ich einige Male joggen gewesen, hatte ein paar Runden mit dem Rad gedreht, und dann hatte es wieder zu regnen begonnen, und meine guten Vorsätze waren ertrunken.
    Die Klingel schien nicht zu funktionieren, so klopfte ich an die altersschwache Tür, deren früher einmal prächtige Verglasung teilweise durch Sperrholz ersetzt war. Innen blieb es still. Ich klopfte stärker. Schließlich ging Licht an, jemand kam mit fast lautlosen Schritten an die Tür.
    Â»Wer ist da?«, fragte eine kehlige Jungmännerstimme.
    Â»Gerlach. Kriminalpolizei.«
    Â»Falls ich wieder mal in der Fußgängerzone mit dem Bike unterwegs gewesen sein soll – vergessen Sie’s. Wer immer das behauptet, er lügt.«
    Â»Ich möchte mit Ihnen reden.«
    Mein unsichtbarer Gesprächspartner hatte offenbar kein Bedürfnis nach Unterhaltung.
    Â»Worüber?«, fragte er zögernd.
    Â»Das sage ich Ihnen, wenn Sie die Tür öffnen.«
    Â»Im Moment ist das aber schlecht. Ich komme gerade aus … der Dusche.«
    Â»Macht nichts.«
    Â»Okay. Wie Sie meinen.«
    Der Schlüssel drehte sich im Schloss.
    Der Mann, der vor mir stand, verfügte über einen durchtrainierten, vollkommen haarlosen Bilderbuchkörper und einen waffenscheinpflichtigen Händedruck. Er duftete nach einem herben Duschgel und stellte sich als Ben Riedel vor. Und er trug nichts am Leib als einen Tangaslip mit Tigermuster.
    Â»Sie fahren als Kurier für ›Per Rad‹?«
    Â»Jein.«
    Der Flur der Wohnung war fast ganz blockiert von zwei filigranen, bestens gepflegten und vermutlich schwindelerregend teuren Rennrädern. Riedel bat mich in seine winzige und bemerkenswert unaufgeräumte Küche mit schrägen, über die Jahre fettig grau gewordenen Wänden. Mit energischen Bewegungen schuf er Platz auf einem Stuhl. Ich setzte mich. Er füllte ein Glas mit Wasser aus der Leitung, sah mich fragend an. Ich schüttelte den Kopf. Er leerte das Glas in einem Zug und behielt es in der Hand. Er mochte einen Meter fünfundachtzig groß sein, vielleicht neunzig Kilo wiegen und schien nur aus Muskulatur und starken Knochen zu bestehen. Mit blonden Haaren auf dem

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