Der fünfte Mörder
StraÃenbahn vorbei. Der Wirt war irgendwo in den hinteren Räumen seines kleinen Lokals verschwunden und räumte dort halblaut fluchend herum.
»Diese Leute wissen, was sie tun«, fuhr der Journalist fort. »Die wissen vermutlich besser als Sie selbst, was die Polizei darf und was nicht. Sie wissen, wo die Grauzone aufhört und die Kriminalität beginnt. Sie beobachten die Entwicklung der Gesetzgebung und positionieren ihr Kapital immer wieder neu. Die Leute, von denen wir reden, wissen von kommenden Vorschriften und Gesetzen, lange bevor Sie und ich zum ersten Mal davon im Fernsehen hören.«
»All das glaube ich Ihnen gerne. Aber es erklärt nicht das Wohlwollen, das diese Dame genieÃt. Wenn ich anderen Leuten auf die Zehen trete, dann handle ich mir schlimmstenfalls einen Rüffel der Staatsanwaltschaft ein, aber kein hochoffizielles Ermittlungsverbot. Und um ehrlich zu sein, lieber Herr Machatscheck: Ich habe den Eindruck, Sie wollen nicht mit der Sprache heraus. Sie wissen mehr über Frau Lebedeva, als Sie sagen.«
Er schmunzelte in sein Glas. »Wie kommen Sie darauf?«
»SäÃen Sie sonst hier?«
Er sah für einige Sekunden auf die StraÃe hinaus, als wollte er sicherstellen, dass dort keine Männer mit Schlapphüten herumstanden, die ihre Gesichter hinter durchlöcherten Zeitungen versteckten. Dann sah er mir ins Gesicht.
»Elisaveta Lebedeva ist in der Nähe von Wolgograd geboren, vor fünfundvierzig Jahren, und zwar unter dem gutbürgerlichen Namen Lisa Buchholz.«
»Demnach ist sie Russlanddeutsche?«
»Das Wort mag ich nicht. Sagen wir lieber: Ihre Vorfahren waren deutscher Abstammung. Die kleine Lisa war ein kluges Mädchen und hat später in Moskau Volkswirtschaft studiert. Das war in der Zeit der Perestroika, als die Sowjetunion begann, sich in ihre Einzelteile aufzulösen. Damals hat sie auch ihren späteren Mann kennengelernt, der übrigens fast zwanzig Jahre älter war als sie. Zu Sowjetzeiten war Lebedev ein hohes Tier im AuÃenhandelsministerium. Im Zuge der politischen Neuerungen unter Gorbatschow ist er wie so viele in Ungnade gefallen und hat â ganz ähnlich übrigens wie der allseits geschätzte italienische Ministerpräsident â eine kleine Baufirma gegründet. Wenige Jahre später war er schon Multimillionär.«
Fünf aufgetakelte Teenies im Alter meiner Töchter betraten lärmend das Lokal, setzten sich jedoch zum Glück an einen Tisch neben der Tür. Ihr aufgekratztes Gespräch drehte sich um ein Popkonzert, das drei von ihnen am vergangenen Samstag besucht hatten. Diese versuchten nun nach Kräften, die anderen beiden neidisch zu machen, indem sie mit glänzenden Augen vom Leadsänger der Gruppe schwärmten, dessen Namen ich noch nie gehört hatte.
Machatscheck schnitt eine Grimasse. Er war den Lärm junger Menschen offensichtlich nicht gewohnt.
»Wie ging es weiter mit unserer Lisa Buchholz?«, fragte ich mit Blick zur Uhr. Mein Zug zurück ging um kurz vor eins.
»Lebedev hat seinen Wohnsitz bald nach Deutschland verlegt und die Leitung der Geschäfte im Osten Vertrauensleuten übertragen. Auch russische Mafiosi genieÃen es, abends ins Bett zu gehen ohne die Furcht, am nächsten Morgen im Gefängnis oder mit einem Loch in der Stirn aufzuwachen.«
»Die Frage, der Sie so geschickt ausweichen, lautet immer noch: Warum kriege ich eins auf die Mütze, wenn ich mich Lebedevs Witwe auf weniger als zehn Kilometer nähere?«
»Und meine ehrliche Antwort lautet: Ich weià es nicht. Noch nicht. Ich habe eine Vermutung, und das ist der Grund, weshalb ich hellhörig wurde, als gestern am Telefon der Name Lebedev fiel. Ich schlage Ihnen ein Zug-um-Zug-Geschäft vor: Ich halte Sie auf dem Laufenden und Sie mich. Sehen wir, was am Ende für uns beide dabei herausspringt.«
»Wie bleiben wir in Kontakt? Per E -Mail oder lieber per Telefon?«
»Skype.« Machatscheck schob sein immer noch halbvolles Glas angeekelt von sich.
»Habe ich schon mal von meinen Töchtern gehört.«
»Telefon per Internet. Wenn man weiÃ, wie es geht, zurzeit die sicherste Art, sich auszutauschen.« Er griff in die Innentasche seines Sakkos, schob mir einen schwarz schimmernden USB -Stick über den Tisch und einen Zettel, auf dem eine lange Buchstaben-Zahlenkombination notiert war. »Vor allem, wenn man das hier
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