Der fünfte Mörder
Antwort.
Ausgerechnet jetzt â¦
Warum irritierten mich diese zwei alltäglichen Worte plötzlich? Louise hatte sie ausgesprochen, enttäuscht, vorhin beim Ende unseres Gesprächs. Wie oft sagt ein Mensch das in seinem Leben? Wie oft ist der falsche Zeitpunkt für irgendetwas? Ein Wunsch geht in Erfüllung, nachdem man sein Ziel längst nicht mehr begehrt. Ein Glück wird einem zuteil, auf das zu hoffen man längst aufgegeben hat. Ein schöner Moment wird zerrissen durch irgendeine Banalität des Alltags.
Im Westen waren dunkle Wolken aufgezogen. Aus der Ferne war Donnergrollen mehr zu erahnen als zu hören. Am Bismarckplatz wurde die FuÃgängerampel genau in der Sekunde grün, als ich die Bordsteinkante erreichte.
Ausgerechnet jetzt â¦
Warum hakten sich meine Gedanken an diesen beiden harmlosen Worten fest? Ich hatte sie vor Kurzem schon einmal gehört, wurde mir bewusst. Gestern? Ja, gestern, am Vormittag. Aber in welchem Zusammenhang?
Mit einem Mal war ich hellwach und hatte es eilig, nach Hause zu kommen. Die letzten fünfhundert Meter zur KleinschmidtstraÃe legte ich im Trab zurück.
Es kostete mich dreizehn Minuten, die Privatnummer von Liebekinds Sekretärin herauszufinden, Frau Ragold. Inzwischen war es schon fast elf Uhr geworden, aber sie war noch wach und zum Glück ein Mensch von Gemüt.
»Gestern Vormittag, sagen Sie?«
»Genau. Ein junger Russe. Er hat sehr gut deutsch gesprochen und zu groÃe Schuhe angehabt.«
»Ah, der.« Sie lachte. »Er hat eine Unterschrift gebraucht, damit er sein Geld kriegt. Die hätte er sich genauso gut vom Dezernatsleiter geben lassen können, aber man will ja nicht so sein, nicht wahr.«
Frau Ragold verfügte über ein beneidenswert gutes Namensgedächtnis, stellte ich in den nächsten Sekunden fest.
»So ähnlich wie dieser Zwerg bei den Nibelungen hat der geheiÃen, Alberich? Alberin? Albering? Auch nicht. Warten Sie ⦠Alberings, genau. AuÃerdem ist der gar kein Russe, sondern Lette. Und mit dem möchten Sie reden? Jetzt sofort?«
»Wenn es sich irgendwie einrichten lässt. Ich weiÃ, es ist eine Zumutung.«
»Ich müsste kurz in die Direktion rüberlaufen. Sind keine fünf Minuten von hier, und ein bisschen Bewegung am Abend wird mir nicht schaden.«
Weitere fünfzehn Minuten später hatte ich die Handynummer des lettischen Russischübersetzers auf dem Rand der Zeitung notiert. Und wenige Augenblicke später hatte ich ihn persönlich an der Leitung.
»Aber ja, natürlich erinnere ich mich an Sie!« Alberings klang, als hätte er sich den ganzen Abend auf meinen Anruf gefreut. »Was soll ich gesagt haben?«
»Irgendwas wie: ausgerechnet jetzt ⦠Für mich klang es, als wären Sie enttäuscht, dass die Ãberwachung eingestellt wurde.«
»War ich auch. Die ganze Zeit war es zum Sterben langweilig. Und dann, wie die auf einmal anfangen, wie irre herumzutelefonieren, da heiÃt es, Schluss und aus.«
»Wann genau ging es los mit der Telefoniererei?«
»Gegen zehn etwa.«
»Und worum ging es dabei?«
»Eine Krisensitzung wollten sie machen. Um Geld ging es, um viel Geld, das irgendwie plötzlich verschwunden war.«
Nach dem Telefonat nahm ich einen Schluck von meinem Spätburgunder, suchte eine CD aus meiner Sammlung und schaltete die HiFi-Anlage ein, die vor langer Zeit einmal mein groÃer Stolz gewesen war. Damals, als man Musik noch aus sündteuren Vier-Wege-Boxen hörte und nicht aus plärrenden PC -Lautsprechern mit einem Klirrfaktor von fünfundneunzig Prozent.
Stan Getz und Charlie Parker spielten einen Samba Triste, und zum ersten Mal seit Langem ging es mir gut. Vielleicht lag mein Problem mit Theresa einfach nur darin begründet, dass ich seit Tagen zu wenig Zeit für mich hatte? Ich musste herunterkommen vom Dauerstress. Mir fehlten das Wochenende und Schlaf. Die schmeichelnde melancholische Musik machte mich müde. Ich schloss die Augen, lieà meine Gedanken schlendern über die immer noch sonnenwarmen Strände von Rio de Janeiro, wo ich nie im Leben gewesen war. Ein wenig traurig von einer Sehnsucht, die kein Ziel hatte, von einer Einsamkeit, die mir wohltat.
DrauÃen hatte es heftig zu regnen begonnen. In der Ferne polterte Donner.
Geld, das plötzlich verschwunden war.
Sollte das die Erklärung sein für alles?
Der
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