Der fünfte Mörder
Gedanke lieà mich nicht los.
SchlieÃlich, da war es schon lange nach elf, griff ich erneut zum Telefon.
Wieder wählte ich die Nummer der Polizeidirektion.
»Falk heiÃt der Mann«, erklärte ich der mürrischen Kollegin in der Telefonzentrale. »Thorsten Falk. Wir müssten ihn im Computer haben.«
Dieses Mal musste ich nur Sekunden warten, und in Gedanken segnete ich wieder einmal die moderne Informationstechnik.
Unter der Nummer, die sie mir nannte, meldete sich nach mehreren Klingelsignalen schlieÃlich eine ernste Kinderstimme.
»Joshua Falk hier, ja bitte, wer ist da?«
»Mein Name ist Gerlach. Ich würde gerne deinen Papa sprechen.«
»Das geht nicht.«
»Ist er denn nicht zu Hause?«
»Darf ich nicht sagen.«
»Das machst du ganz prima, Joshua. Aber weiÃt du, ich muss ihn wirklich dringend sprechen. Es ist sehr wichtig. Ich bin von der Polizei.«
»Das sagen die schlimmen Menschen immer, sagt die Mama. Wenn einer sagt, er ist von der Polizei, dann soll ich mir den Ausweis zeigen lassen. Hast du denn einen Ausweis?«
»Natürlich. Aber den kann ich dir am Telefon ja schlecht zeigen.«
»Wie sieht der denn aus?«
Tja, wann hatte ich meinen Dienstausweis zum letzten Mal bewusst angesehen?
»Es ist so ein Kärtchen aus Plastik, und vorne ist mein Foto drauf und mein Name, und oben drüber steht groà Polizei des Landes Baden-Württemberg. Dein Papa kennt mich, weiÃt du.«
»Das sagen die schlimmen Menschen immer, sagt die Mama. Und wenn einer so was sagt, dann soll ich am besten gleich weglaufen.«
»Das fände ich aber sehr schade, wenn du jetzt weglaufen würdest. Ich würde deinem Papa nämlich gerne sagen, wie toll du das machst. Wie alt bist du denn?«
»Viereinhalb. Der Papa ist mit der Mama im Schlafzimmer. Und da darf ich nicht klopfen, sonst kriege ich geschimpft. Bestimmt machen sie wieder ein Schwesterchen.«
»Du hast schon eine Schwester?«
»Ja klar, die Esther. Die wird nächste Woche zwei und ist total blöd. Mit der kann man überhaupt nichts machen. Immer heult sie gleich, und dann kriege ich geschimpft. Hoffentlich wird die neue besser.«
Im Hintergrund hörte ich Stimmen. Es gab einen kurzen Disput, dann meldete sich eine unwirsche Männerstimme und erkundigte sich in knappem Ton nach meinen Wünschen. Ich nannte meinen Namen, entschuldigte mich für die späte Störung und stellte meine Frage. Thorsten Falk, der Leiter der ausgeraubten Bankfiliale, beruhigte sich nur langsam. Ein Coitus interruptus ist immer eine dumme Sache.
»Sie wissen schon, dass ich Ihnen solche Informationen nicht geben darf, Herr Gerlach«, sagte er streng. »Solche Dinge fallen unter das Bankgeheimnis.«
»Das heiÃt, bevor ich Ihnen eine richterliche Verfügung vorlege, werden Sie mir nicht sagen, ob Frau Lebedeva SchlieÃfächer in Ihrem Tresor hat?«
»Ich darf es nicht beziehungsweise nur mit Einverständnis des Kunden. Unsere Kunden haben schlieÃlich ein Recht darauf â¦Â«
»Aber Sie dürften es mir vermutlich verraten, wenn Frau Lebedeva kein SchlieÃfach in Ihrem Tresor hätte?«
Nun kam er ins Schleudern. »Im Prinzip ⦠ehrlich gesagt, das weià ich jetzt gar nicht. Und es ist ja auch schon lange nach elf, und ich wundere mich schon ein wenig über diesen Ãberfall und Ihre seltsamen Fragen.«
»Dann machen wir jetzt Folgendes: Wenn Frau Elisaveta Lebedeva kein SchlieÃfach bei Ihrer Bank hat, dann legen Sie bitte sofort auf. Im anderen Fall warten Sie noch fünf Sekunden.«
Thorsten Falk stöhnte gequält. Aber er legte nicht auf. Ich hörte Joshua plappern und nörgelnde Fragen stellen und Herrn Falk unfreundliche Antworten geben. Dann erst knackte es in der Leitung.
Hatte ich es geahnt? Hatte ich es schon länger vermutet, ohne dass es mir bewusst gewesen war? Die Russin zählte zu den Opfern des Bankraubs! Sollten ausnahmsweise einmal die Starken den Kürzeren gezogen haben?
War es denkbar, dass die Russenmafia rein zufällig zum Opfer des Bankraubs geworden war? Oder sollte es genau umgekehrt sein: Sollte die ganze Aktion einzig und allein dem Zweck gedient haben, an einen kleinen Teil von Frau Lebedevas Vermögen zu gelangen? Nur drei SchlieÃfächer waren vollständig leer gewesen. Drei von den groÃen. Hatten die Täter die anderen nur aufgebrochen,
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