Der Fürst der Maler
aus wie Peruginos Vermählung im Dom von Perugia. Nur … vollkommener! Und nun bist du nach Florenz gekommen, um die größten Meister Italiens zu treffen. Willst du dieses Jahr wie Leonardo malen? Und nächstes Jahr wie Michelangelo?«
Trotzig ballte ich meine Hände zu Fäusten. Glaubte er, mich für zehn Fiorini verhöhnen und demütigen zu dürfen? »Ich will lernen!«, presste ich hervor.
»Dann lerne, Raffaello! Lerne zu malen wie Raffaello! Werde, der du bist!« Taddeo Taddei nahm meine Hand, öffnete sanft die Faust und strich mir beinahe zärtlich über die Finger. »Wer bist du?«
»Ich bin ein Mensch …«, begann ich bescheiden.
Taddeo Taddei lachte. »Und was für einer!«
»Vor vier Jahren ging ich von Perugia nach Città di Castello. Ich habe Pietro Perugino im letzten Jahr meiner Lehre verlassen.«
»Warum verlässt ein Schüler seinen Lehrer?« Taddeo Taddeis Blick bohrte sich in meinen. Meine Hand ließ er nicht los.
»Weil er nichts mehr lernen kann.«
»Dann hättest du schon Jahre früher gehen müssen! Du bist gegangen, weil er dich eingeengt hat, weil er dich gefesselt hat. Weil du deine Flügel nicht ausbreiten konntest, Raffaello. Weil du fliegen lernen willst, um sie alle zu übertreffen. Ich habe …«
»Das Fliegen überlasse ich Leonardo!«, unterbrach ich ihn und entzog ihm meine Hand.
»Ich habe deine Krönung des Heiligen Niccolò da Tolentino in Città di Castello gesehen«, fuhr der Principe unbeirrt fort. »Der Bildaufbau könnte von deinem Vater Giovanni stammen, die Figuren sehen aus wie von Pietro Perugino entworfen. Wenn nicht dein Name darunter stünde, würde niemand glauben, dass es von dir ist, sondern von Perugino. Die Figuren sind zu grazil, zu elegant, zu süß, zu … schön, um wahr zu sein. Sie leben nicht. Sie haben keine Seele.«
»Keine Seele?«, begehrte ich auf.
»Deine Jungfrau in der Marienkrönung für die Cappella Oddi in der Kirche San Francesco in Perugia ist weder eine Castissima Diva noch eine Mutter. Dein Christus in der Kirche San Domenico in Città di Castello leidet nicht, wenn er am Kreuz hängt. Er lächelt, als ob er Maria Magdalena verführen will. Oder seinen Lieblingsjünger Giovanni. Dein betender Gottessohn im Garten Gethsemane dankt Gott für den gebratenen Fasan, den er gerade gegessen hat. Aber er ringt nicht mit Gott um sein Leben. Lies!«, befahl er mir und reichte mir eine Bibel, die auf seinem Schreibtisch gelegen hatte. »Lies! Und dann male den Weg, die Wahrheit und das Leben! Geh deinen Weg, finde deine Wahrheit, und lebe dein Leben!«
Ich starrte ihn an. »Ihr habt alle meine Werke gesehen, nicht wahr? In Perugia, in Città di Castello und in Siena.«
Statt einer Antwort öffnete Taddei die Tür zum benachbarten Speisesaal mit einer für zwei Personen gedeckten Tafel. »Lass uns essen! Dabei können wir uns unterhalten.«
Als die Dienerschaft unsere Stühle zurechtgerückt und uns Fingertücher über den Schoß gebreitet hatte, wurde das Mahl aufgetragen. Wir aßen gebratenen Kapaun in Pfeffersauce, Fasanenpastete, mit Goldstaub gewürzte Wachteleier, dazu Weißbrot. Taddeo Taddei zeigte mir, wie ich mit der silbernen Gabel mit den drei Zinken die Wachteleier aufspießen konnte. Gabeln gab es nicht einmal im Palazzo Ducale in Urbino!
Das Abendessen, das Signor Taddei für mich veranstaltete, übertraf alles, was ich erwartet hatte.
Ich aß wie ein Verhungernder, trank wie ein Verdurstender. Und genoss auf dem weichen Lederstuhl die behagliche Wärme des Kaminfeuers. Welch ein Unterschied zu den harten Brotkanten des Nachtwächters, den wurmstichigen Äpfeln, die mir eine mitleidige Bäuerin auf dem Mercato Vecchio geschenkt hatte, und dem Wasser aus dem Brunnen von San Marco! Und zur harten Marmorbank des Palazzo Medici, auf der ich die letzte Nacht verbracht hatte!
Als ich vom Marzipankonfekt nahm, ergriff er meine Hand und hielt sie fest. »Deine Hände gefallen mir, Raffaello«, gestand er, ganz in die Betrachtung meiner Finger vertieft. Leicht wie einen kleinen Vogel hielt er meine Hand. »Sie sind weich … zärtlich.« Spielerisch bewegte er Felices Rubinring an meiner Hand. Als er meinen Blick sah, lachte er amüsiert und naschte das Konfekt aus meiner Hand. Dabei berührten seine Lippen leicht meine Finger.
Ich war … erregt!
»Was wollt Ihr von mir?«, fragte ich und entzog ihm meine Hand.
»Zuerst einmal will ich, dass du mich Taddeo nennst«, begann er. Seine Opalaugen schimmerten im Licht der
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