Der Fürst der Maler
schmiedeeiserne Tor. Wir durchquerten das von den letzten Sonnenstrahlen durchflutete Atrium mit winzigen Lorbeerbäumen in Terrakottagefäßen und stiegen eine breite Treppe hinauf zum Piano Nobile. Der Palazzo war mit seinem Innenhof und dem dahinter liegenden Garten nicht kleiner als der Palazzo Medici auf der anderen Straßenseite.
Wer war der Principe? Worauf hatte ich mich eingelassen?
Der Diener führte mich durch Loggien und Gänge und öffnete mir die Tür zu einem Studierzimmer, das von unzähligen Kerzen hell erleuchtet war.
In der Mitte des Raumes stand der wunderbarste Schreibtisch, den ich je gesehen hatte, ein Meisterwerk der florentinischen Handwerkskunst. Zu meinen Füßen lag ein kostbarer orientalischer Teppich. In der Luft hing ein schwerer Duft nach Lotus und Goldstaub und kostbaren Büchern.
Er erwartete mich.
Er saß auf einem gepolsterten Stuhl am Schreibtisch und las. Als ich eintrat, erhob er sich und legte das Buch auf den Tisch: Giovanni Pico della Mirandolas Über die Würde des Menschen. Dann reichte er mir ein Glas unverdünnten Wein.
Ich überreichte ihm wortlos die Skizze des Messias, die er auf den Stufen liegen gelassen hatte.
Er lächelte und hielt das Papier in die Flamme einer brennenden Kerze. »Ich bin froh, dass du gekommen bist. Ich habe mich dir noch nicht vorgestellt. Ich bin Taddeo Taddei.«
Ich starrte ihn an und wusste nicht, was ich sagen sollte. »Ich bin Raffaello Santi aus …«
»Ich weiß«, gestand er geheimnisvoll lächelnd und trank einen Schluck Wein, während das Papier in seiner Hand brannte.
»Woher kennt Ihr mich, Signor Taddei? Ich hatte Euch heute Nachmittag meinen Namen nicht genannt.« Ich konnte meinen Blick nicht von der Zeichnung wenden, die ihm die Hand verbrennen würde, wenn er sie nicht losließ.
Taddeo Taddei lächelte nachsichtig, als hätte ich eine unglaublich dumme Frage gestellt. »Ich habe gesehen, wie du zeichnest. Du hältst den Silberstift wie Pietro Perugino, du schraffierst Licht und Schatten wie Perugino, dein Messias sah aus wie von Perugino skizziert. Mit einem Unterschied: Du zeichnest mehr wie Perugino als er selbst.«
Im Schein der Kerzen erkannte ich drei Bilder von Maestro Pietro an der Wand. Und zwei von Sandro Botticelli. War Taddeo Taddei Kunstliebhaber?
»Wenn ich etwas tue, dann mit Leidenschaft. Oder ich lasse es bleiben«, formulierte ich selbstbewusst.
»Perugino zu imitieren findest du … leidenschaftlich?«
»Sechs Jahre habe ich bei ihm gelernt. Er ist einer der führenden Maler unserer Zeit.«
Haltung und Perspektive hatte mich mein Vater gelehrt. Doch bei Pietro Perugino hatte ich das Malen mit Farben gelernt. Ich war vom ersten Tag an sein Lieblingsschüler gewesen. Das hieß in anderen, unfarbigeren Worten: Ich lief zum Apotheker, um Farben zu kaufen, rieb ihm stundenlang, bis mir die Arme schmerzten, die feinsten Farbpulver, mischte ihm seine Farben mit Nussöl und kochte bis spät in die Nacht Leim für die Leinwandgrundierungen. Als Gegenleistung ließ Pietro mich ihm schon im ersten Lehrjahr beim Malen helfen: Ich malte ein Stück Himmel in einem seiner Madonnenbilder. Pietro war zufrieden. Ich war glücklich. Von diesem Tag an arbeiteten mein Maestro und ich oft an demselben Bild. Er lehrte mich, seinen Stil vollkommen zu beherrschen, bis meine Madonnen sich nicht mehr von seinen unterschieden – nicht einmal im Preis, den er von seinen Auftraggebern verlangte, als er meine Bilder mit seinem Namen signiert hatte …
»Pietro Perugino hat aus mir gemacht, was ich heute bin …«, fügte ich an. Aber glaubte ich mir das eigentlich selbst?
»Und was, Maestro Raffaello, bist du heute?«, unterbrach mich der Principe . »Vor wenigen Stunden habe ich dich in der Via Larga getroffen. Du hattest kein Papier für Skizzen und kein Geld. Ich kann mich auch nicht erinnern, Pinsel und Farben gesehen zu haben.«
»Ich habe eine Begabung!«, trotzte ich ihm, wütend über seine Erbarmungslosigkeit.
»Nein, Raffaello, du hast keine Begabung zum Malen! Du hast einen Dämon in dir. Er treibt dich voran, bis an deine Grenzen. Und darüber hinaus. Du bist nach Florenz gekommen, um den Parnassos zu besteigen und dich mit den Göttern der Malerei zu messen, mit Sandro Botticelli, Leonardo da Vinci und Michelangelo Buonarroti. Wie du dich mit Pietro Perugino gemessen hast.
Ich habe deine Vermählung der Jungfrau gesehen, die du letztes Jahr in Città di Castello gemalt hast. Auf den ersten Blick sieht sie
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