Der Fürst der Maler
Baccio d’Angelo Baglioni. Baccio ist der beste Architekt von Florenz. Er hat diesen Palazzo entworfen und gebaut. Es ist der einzige seiner Palazzi, der nie fertig werden wird, denn mit Fertigstellung müsste ich Baccio das letzte Drittel seines Lohnes bezahlen, was ich nicht kann, und Baccio müsste ausziehen und mich verlassen, was ich nicht will. Also wird der Palazzo Taddei immer der Palazzo Nonfinito bleiben.«
Das Frühstück wurde aufgetragen. Statt der üblichen Morgensuppe und frischer Milch gab es exotisches Obst, ofenwarmes Brot, Oliven und Käse, Schinken und Pasteten.
Während ich das süße Haselnussbrot mit einer Scheibe Fasanenpastete belegte, eröffnete Baccio das Tischgespräch: »Es ist spät geworden gestern Abend. Der Disput über die Definition der Schönheit dauerte bis lange nach Mitternacht. Sandro, Leonardo und Michelangelo waren auch da. Du hättest dich köstlich amüsiert.«
Taddeo sah mich an. »Nach der Auflösung der Platonischen Akademie hat Baccio den Ehrgeiz, seine Bottega zum Mittelpunkt der gebildeten Welt zu machen. Jeden Abend diskutiert er mit unseren Freunden über Sokrates, Platon und Aristoteles. In Baccios Werkstatt kannst du die größten Künstler von Florenz treffen: Andrea Sansovino, Antonio und Giuliano da Sangallo, Sandro Botticelli, Leonardo da Vinci und sehr selten sogar Michelangelo Buonarroti.«
Mein Onkel Bartolomeo hatte mir von der Platonischen Akademie erzählt. Sie war nach dem Tode Lorenzo de’ Medicis im Jahr 1492 aufgelöst worden. Marsilio Ficino, der Übersetzer der Werke Platons, der Dichter und Denker Angelo Poliziano und Giovanni Pico della Mirandola, der Verfasser der neunhundert Thesen, sowie weitere Philosophen und Künstler hatten ihr angehört. Il Magnifico hatte in Klöstern nach vergessenen antiken Manuskripten forschen lassen und sie in der unvergleichlichen Bibliothek des Palazzo Medici zusammengetragen, wo sich die Mitglieder der Akademie trafen.
»Über was wird diskutiert?«, fragte ich Baccio, der mich nicht aus den Augen gelassen hatte.
»Über alles. Über nichts. Über Perspektive, Haltung und Intention. Wir diskutieren in der Sprache der Philosophie. Du sprichst doch Latein?«, fragte Baccio.
Mein ›Ja‹ verriet Baccio d’Angelo nicht, dass Onkel Bartolomeo es mir mit der Weidenrute beigebracht hatte. Ein künftiger Kardinal müsse die lateinische Grammatik beherrschen wie sich selbst, hatte er gesagt.
»Du kannst mich heute Abend begleiten, wenn du willst«, erklärte Baccio gnädig. »Ich meine, wenn du nichts Besseres vorhast.«
»Selbstverständlich werde ich dich begleiten, Baccio. Ich wüsste nicht, was es Wichtigeres geben könnte als zu lernen. Sich zu vervollkommnen. Und zu arbeiten.« Ich warf Taddeo einen Blick zu, den er nicht missverstehen konnte.
Taddeo legte sich eine Scheibe Pecorino auf eine halbe Birne und biss ab. »Du willst einen Auftrag, Raffaello? Was willst du malen?«, fragte er genüsslich kauend.
»Was du willst, Taddeo. Ich kann Engel malen und Heilige, eine Madonna vielleicht …«
»Ich weiß, was du kannst, Raffaello. Gemälde von Pietro Perugino und Sandro Botticelli kann ich mir leisten. Aber von dir? Dio mio! Ich bin doch nur ein armer Geldwechsler«, seufzte Taddeo. Baccio lachte unverschämt, aber er fuhr unbeirrt fort: »Ich wechsele römische Dukaten, venezianische Zechinen und flämische Gulden in Fiorini. Ich bin kein Lorenzo de’ Medici. Ich bin nicht Agostino Chigi, der Bankier des Papstes, oder Jakob Fugger, der Bankier des Kaisers. Ich finanziere keine Konklaves und Konzile, nehme keine päpstliche Tiara in Zahlung und kaufe mir keinen Kaiser. Ich kann mir dich nicht leisten.«
»Ich arbeite für den gleichen Lohn wie Bernardino Pinturicchio!«, versprach ich. »Pietro Perugino verlangt das Vierfache für ein Gemälde. Ich kenne meinen Wert, Taddeo. Ich bitte dich …«
Taddeo schüttelte den Kopf. »Wenn du deinen Wert kennst, dann hör auf, um einen Auftrag zu bitten! Wenn du weißt, was du kannst, dann warte darauf, dass die Medici, die Chigi, die della Rovere vor deiner Bottega warten, um dich um ein Werk zu bitten.«
»Warum lässt du mich in deinem Palazzo wohnen, wenn du mir keinen Auftrag gibst, der mein Bleiben rechtfertigt?«, fragte ich.
Taddeo lachte. »Was soll ich mit einem Bild anfangen? Ich hänge es auf und sehe es mir an. Es verändert sich nicht. Irgendwann nehme ich es nicht mehr wahr. Es hängt an der Wand, aber ich sehe es nicht mehr. Nein,
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