Der Fürst der Maler
verwendet, um über mich zu triumphieren! Agostino Chigi wollte nach der Galatea ein weiteres Fresko von mir in der Eingangsloggia seiner Villa gemalt haben – von mir, nicht von Sebastiano Luciani! Die Madonna di Foligno für Sigismondo Conti, die Madonna mit dem Diadem, die Madonna della Tenda und die Madonna für Julius’ Privatkapelle und Julius’ offizielles Porträt als Pontifex Maximus hätten jeden anderen Maler ausgelastet. Außerdem drängte Monsignor Giulio de’ Medici, dass ich ihm die Entwürfe für seine Villa am Monte Mario mit Blick über den Tiber fertig stellte. Und sein Cousin Giovanni wartete immer noch ungeduldig auf sein Silbergeschirr …
Wieso, zum Teufel, hatte ich Ja gesagt, zu alldem auch noch die Bauleitung von San Pietro zu übernehmen?
Das päpstliche Breve schien aus gemeißeltem Marmor zu bestehen und wog schwer in meiner Hand, als ich im Schein der Fackeln die Stufen zum Gerüst der Sixtina hochkletterte. Ich wollte Michelangelo davon erzählen, bevor er es von jemand anderem hörte. Er hasste Donato leidenschaftlich und beschuldigte ihn seit Jahren, sich am Bau von San Pietro zu bereichern. Donato gefährde die Stabilität der Konstruktion, weil er die Kuppelpfeiler nicht aus massiven Travertinblöcken baute, sondern die Mauern mit Marmorschutt vom Forum Romanum und dem Colosseum auffüllte. Bramante hatte Michelangelo gefragt, wer von beiden der Architekt des Papstes war, und Michelangelo hatte sich zähneknirschend von ihm demütigen lassen müssen. Wenn ich ihm nun erzählte, dass ich mit Bramante in der Bauleitung zusammenarbeitete und ihn als erste Amtshandlung gebeten hatte, das Colosseum nicht weiter als Steinbruch für Travertinblöcke zu benutzen …
Auf der letzten Stufe des Gerüsts blieb ich stehen. Michelangelo saß an seinem Zeichentisch auf der obersten Plattform, unterhalb der fast vollendeten Libyschen Sibylle. Er weinte.
Wortlos nahm ich ihm den zusammengeknüllten Brief aus der Hand und entfaltete ihn. Niccolò Machiavelli hatte Michelangelo geschrieben und ihm in den ersten Zeilen sein Bedauern über die Vernichtung der Bronzestatue von Bologna ausgedrückt. Ich las weiter:
»Gestern bat mich Piero Soderini, ob ich nicht dich oder Raffaello aus Rom zurückholen könnte. Zuerst dachte ich, er hätte gescherzt, aber er meinte es bitter ernst. Einer von euch beiden muss den Triumph der Freiheit an die Wände der Signoria malen! Denn die Freiheit der Republik Florenz ist ernsthaft in Gefahr, seit das spanische Heer Ramón de Cardonas vor den Toren lagert.
In Florenz herrscht nicht mehr der Gonfaloniere, sondern die panische Angst. Die Furcht vor den Spaniern, deren Heerlager wir vom Turm der Signoria aus sehen können. Und die Angst vor der Rückkehr der Medici. Wenn die Mauern fallen und Giovanni de’ Medici mit seinem Bruder Giuliano und seinem Cousin Giulio den Palazzo in der Via Larga bezieht, wird es in den Straßen von Florenz Aufstände und Hinrichtungen geben. Die Unruhen nach der Vertreibung der Medici im Jahr 1494 wären dagegen ein vergnüglicher Karneval, der fulminant in Savonarolas ›Fegefeuerwerk‹ endete.
Michelangelo, tu mir und dir selbst einen Gefallen und bleib in Rom! Versuche nicht, als Patriot nach Florenz zurückzukehren – auch wenn du mit Kardinal Giovanni zusammen im Palazzo Medici aufgewachsen bist. Auch ich war dort und saß wie du an der Tafel des Magnifico, spielte wie du mit Giuliano Calcio im Innenhof des Palazzo und las mit Giovanni die antiken Dichter. Aber jetzt habe ich Angst vor ihnen, furchtbare Angst. Ich bin Staatssekretär der Republik Florenz, der zweithöchste Vertreter des Regimes, das ihre Familie enteignete und aus der Stadt jagte. Sie hassen mich! Und sie werden sich an mir rächen, egal, ob wir zusammen aufgewachsen sind oder nicht.
Ich weiß nicht, was ich tun soll, Michelangelo! Soll ich fliehen und diesen Idioten Soderini seinem Schicksal überlassen? Oder soll ich bleiben und Florenz verteidigen – gegen die Apokalypse? Keine dieser Alternativen ist wirklich erstrebenswert. Aber jede ist besser als stillzusitzen und nichts zu tun – außer auf die eigene Hinrichtung zu warten. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell zum Stoiker werden könnte! Was soll’s! Ich werde Giovanni de’ Medici überleben, wie ich Cesare Borgia überlebt habe: mit einem eisernen Lächeln.
Dein qualvoll lächelnder Freund Niccolò.«
Ich ließ den Brief sinken. »Ich werde mit Giovanni reden …«, begann
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