Der Fürst der Maler
damit er sich für die verlorene Schlacht von Ravenna verantwortete. Francesco war während der Schlacht in Urbino gewesen und hatte den im Kampf unerfahrenen Giovanni de’ Medici ins offene Messer der Franzosen laufen lassen. Aber was Julius wirklich in Rage brachte, war das Gerücht, dass der Herzog von Urbino mit dem Herzog von Ferrara, dem Onkel seiner Gemahlin Eleonora, ein Friedensabkommen geschlossen hatte. Francesco hatte Baldassare Castiglione nach Rom geschickt, um die Wogen des Zorns zu glätten.
»Kardinal de’ Medici war ein Gefangener der Franzosen. Er soll in Mailand gefangen gehalten worden sein«, sagte Baldassare, als ich ihm ein Glas Wein eingeschenkt hatte und wir an meinem Schreibtisch im Großen Saal neben den Stanzen saßen. Nebenan malten Giulio und Gianni an der Vertreibung des Heliodor , und Perino und Polidoro bereiteten den Karton für die Übertragung des Sieges Leos des Großen über König Attila auf die gegenüberliegende Wandfläche vor, während Gio’ in der Stanza della Segnatura Ornamente für Bramantes neue Loggia zwischen dem Palazzo del Belvedere und dem Torre Borgia entwarf – der nächste große Auftrag unserer Impresa.
»Er war ein Gefangener?«, fragte ich verblüfft.
»Er hat sich in Ravenna tapfer geschlagen. Ein wirklicher Condottiere Gottes! Nur leider kein siegreicher Feldherr. Als die Schlacht verloren war, schritt er über das Schlachtfeld, schloss den Gefallenen die Augen und hielt die Hände der Sterbenden. Giovanni de’ Medici wurde gefangen genommen, während er einem Verletzten mit Stofffetzen aus seiner Kardinalssoutane die Wunden verband. Die Franzosen brachten ihn nach Bologna und feierten den Sieg von Ravenna, als hätten sie bereits Rom erobert. In Florenz ließ Niccolò Machiavelli Freudenfeuer entzünden. Als dann die Schweizer beschlossen, ein wenig im italienischen Krieg mitzuspielen und die Franzosen sich fluchtartig aus Ravenna und Bologna nach Mailand zurückzogen, nahmen sie Kardinal de’ Medici als Geisel mit. Er wohnte im Haus des abtrünnigen Kardinals Sanseverino, bis ihm eines Nachts eine abenteuerliche Flucht gelang, die selbst die Cesare Borgias in den Schatten stellt.«
»Und wo ist er jetzt?«
»Das weiß Gott allein. Und vielleicht sein Bruder Giuliano de’ Medici. Er soll vor zwei Wochen in Mantua gewesen sein. Aber der Marchese Francesco Gonzaga lächelt geheimnisvoll und behauptet, davon nichts zu wissen.«
»Hatte Herzog Francesco bei Kardinal de’ Medicis Gefangennahme seine Hände im Spiel?«, fragte ich.
Baldassare Castiglione sah mich erstaunt an. »Erwartest du darauf allen Ernstes eine Antwort, Raffaello? Du kennst ihn besser als wir alle.«
»Eine rhetorisch perfekte Antwort nach allen Regeln der Diplomatie, Baldassare! Und doch ist es keine Antwort. Ich weiß: Du hast ihm die Treue geschworen, und er vertraut dir. Du kannst nicht gegen dein Gewissen handeln. Ich kann es auch nicht. Francesco ist mein Freund. Genauso wie Giovanni. Wie hat der Herzog reagiert, als er von der Flucht des Kardinals erfuhr?«
Baldassare überlegte, was er mir sagen durfte, ohne selbst das Schicksal Gian Andrea Bravos zu riskieren. »Herzog Francesco hat sein Boccia-Spiel mit Taddeo Taddei und mir im Garten des Palastes nicht unterbrochen, als der Bote ihm von der Flucht des Kardinals berichtete. Er sagte nur: ›Lasst uns dieses Spiel beenden. So viel Zeit haben wir noch, bevor es blitzt und donnert.‹ Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, welches Spiel er meinte.«
»Nein, Baldassare, das brauchst du nicht.«
Francesco, der an der Schlacht von Ravenna nicht teilgenommen hatte, hatte Giovanni den Franzosen ausgeliefert. Giovanni war nach Mantua geflohen. Erinnerte er sich daran, dass Francesco Gonzaga vor Jahren Eleonora nach Florenz geschickt hatte, um eine Rückkehr der Medici vorzubereiten – mit Unterstützung aus Mantua?
Wieder stellte ich mir dieselbe Frage wie damals, als ich Giovanni im Palazzo Medici kennen lernte: Was versprach sich der Marchese von Mantua von der Rückkehr der Medici? Die Antworten waren wieder dieselben: Eine Allianz gegen Herzog Alfonso d’Este von Ferrara? Die beiden Schwäger hassten sich mehr denn je! Oder ein Bündnis gegen Herzog Francesco von Urbino, der gegen den Willen des Papstes mit Ferrara ein Friedensabkommen geschlossen hatte? Onkel und Neffe rangen noch immer über die Vorherrschaft und um das Amt des Bannerträgers. Und nachdem das Ehebündnis der Gonzaga mit den della Rovere durch
Weitere Kostenlose Bücher