Der Fürst der Maler
die ersten Meldungen von der Front bei Monsignor Giulio de’ Medici ein. Giovannis Cousin kam fast täglich in die Stanza des Heliodor, um mir die neuesten Nachrichten zu überbringen: Herzog Alfonso d’Este war Giovanni mit seiner Kanone ›Giulia‹ entgegengezogen. Giovanni belagerte Bologna, doch es gelang ihm nicht, die Mauern zu stürmen. Die Franzosen eroberten Brescia und Bergamo und trieben die päpstlichen Truppen nach Ravenna zurück, wo am Ostersonntag 1512 eine erbitterte Schlacht stattfand. Die spanischen Truppen wurden geschlagen und Ravenna von den Franzosen geplündert. Rimini, Forli, Cesena, Imola und Faenza ergaben sich in ihr Schicksal. Ich fühlte mich an die Szene aus der Vertreibung des Heliodor erinnert, in der Heliodor den Tempelschatz an sich gerissen hatte. Das war der Anfang vom Ende für Heliodor – und auch für die Franzosen! Denn die erbeutete Kriegskasse mit dreihunderttausend Golddukaten für das urbinische und das spanische Heer brachte König Louis kein Glück.
Zwischen den Franzosen und den deutschen Landsknechten, die Kaiser Maximilian nach Italien geschickt hatte, entflammte ein Streit. In Rom brachen die ersten Unruhen aus, als das Gerücht erzählt wurde, dass der Kardinallegat Giovanni de’ Medici nach der verlorenen Schlacht von Ravenna ein Gefangener der Franzosen war. Papst Julius bereitete die Engelsburg auf eine Belagerung vor, als ein Bote mit der Nachricht im Vatikan eintraf, dass die Schweizer den Franzosen in den Rücken gefallen waren, um dem Papst beizustehen. König Henry VIII . von England, der seinem Vater 1509 auf den Thron gefolgt war, drohte mit einer Invasion in der Normandie, um dem Erbfeind Frankreich in den Rücken zu fallen. Die italienischen Städte fassten Mut und wehrten sich gegen die französische Invasion: Erst erhob sich Genua, dann Rimini und schließlich auch das besetzte Ravenna. Die Schweizer schlossen sich mit den Resten des spanischen Heeres zusammen und eroberten Parma, Piacenza und Pavia zurück. Die Franzosen zogen sich Schritt für Schritt zurück – nach Mailand. Und ein paar Tage später flohen sie nach dreizehn Jahren Herrschaft in der Lombardei in Richtung Frankreich.
Italien war frei!
Doch wo war Giovanni de’ Medici?
Giulio de’ Medici war zu sehr mit dem von Julius einberufenen Konzil im Lateran beschäftigt, um mich zu empfangen. Er vertrat seinen Cousin tagsüber während der hitzigen Debatten in der Kirche San Giovanni, hielt die geheime Verbindung zu den verbündeten Medici-Anhängern in Florenz und war in den Nachtstunden damit beschäftigt, seine Intrigen gegen die della Rovere mit Halbwahrheiten und Lügen zu vermischen.
Als Giulio mich nicht empfing, versuchte ich mein Glück bei Rafaele Riario, aber auch er hatte keine Zeit für mich. Und wenn er wusste, wo Giovanni war – würde er es mir sagen? Er war ein della Rovere!
Aufgeben war nie meine Stärke gewesen: Ich ersuchte um einen Termin bei Paris de Grassis, aber seine Sekretäre wiesen mich ab. Das Schicksal der Kirche, ich müsse verstehen … morgen vielleicht …
Das Konzil im Lateran sollte die Kurie reformieren. Ein paar Worte von Alessandro Farneses Eröffnungsrede drangen Tage später durch die dicken Mauern von San Giovanni – Monsignor Tommaso Inghirami, ein Freund der Medici, war nach dem dritten Glas Chianti sehr gesprächig: Die Truppen der Kirche seien von den Franzosen besiegt worden, damit sie sich von den fremden Waffen abkehre und sich auf die eigenen besinne: Frömmigkeit, Gebet und den unverrückbar festen Glauben. »Die Menschen müssen verwandelt werden durch die Religion«, soll Alessandro Farnese gesagt haben, »nicht aber die Religion durch die Menschen.« Ich lachte ungläubig, als ich diese Worte aus Alessandros Mund hörte. Hatte ich ihn nicht beschuldigt, zu dogmatisch und intolerant gegenüber Andersgläubigen zu sein? In welche Windrichtung hängte Alessandro Farnese sein Banner während des Konzils? Glaubte er, mit seiner feurigen Rede Stimmen gewinnen zu können für ein Konklave, das während Giovanni de’ Medicis Abwesenheit stattfinden würde? Mit anderen Worten: Wusste Alessandro, wo Giovanni seit der verlorenen Schlacht von Ravenna war? Und ahnte er vielleicht, dass Giovanni bis nach der nächsten Papstwahl nicht wieder … freigelassen würde?
Ende Mai kam Baldassare Castiglione in diplomatischer Mission von Urbino nach Rom. Er kam anstelle von Herzog Francesco, den sein zorniger Onkel nach Rom befohlen hatte,
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