Der Fürst der Maler
eines Banketts in meiner Bibliothek zerstritten: Es ging um eine der Thesen aus Giovanni Pico della Mirandolas Conclusiones. Seit diesem Abend hatte er mir zornig den Kampf angesagt – nicht nur den theologischen!
»Du willst mich als Hohepriester malen?«, brüllte Julius mich an. Er riss mir die Bibel aus der Hand und schlug selbst das Kapitel auf. Sein Blick glitt über die Seiten, bis er die Stelle gefunden hatte, die er suchte: »›Wer aber die Gestalt des Hohepriesters sah, dem blutete das Herz. Furcht und Zittern hatten ihn befallen‹«, zitierte er den Text mit vor Zorn dröhnender Stimme. »Furcht und Zittern? Ich? Bist du verrückt geworden? Ich zittere nicht vor ein paar abtrünnigen Kardinälen, die sich auf der Piazza dei Miracoli von Pisa verschanzt haben! Ich bin der rächende Reiter Gottes: ›Da ließ der Herr der Geister und aller Macht eine gewaltige Erscheinung sichtbar werden. Alle erschraken vor Gottes Macht, ihre Kräfte verließen sie und sie bekamen große Angst. Denn es erschien ihnen ein Pferd mit prächtigem Geschirr geschmückt. Es stürmte wild auf Heliodor ein und traf ihn heftig mit den Vorderhufen. Sein Reiter aber trug eine goldene Rüstung.‹« Er ließ die Bibel sinken. » Ich trage eine goldene Rüstung, wenn ich in die Schlacht ziehe! Ich bin der Beschützer der Kirche! Male mich als den goldenen Reiter!«
»Soll ich Euch etwa als Racheengel Gottes malen, Heiliger Vater?«, spöttelte ich.
Rafaele Riario und Alessandro Farnese tuschelten miteinander, bis Julius ihnen mit einer herrischen Handbewegung zu schweigen gebot.
Dann wandte er sich wieder an mich: »Warum nicht?«
»Das bringt das Gefüge des Bildes durcheinander«, protestierte ich und zeigte auf den Schatten Gottes in der Bildmitte.
»Ja, und? Ich bringe das Gefüge Italiens durcheinander«, brüllte er unbeherrscht. »Ich könnte dich exkommunizieren, Raffaello! Wie die Kardinäle von Pisa …«
Das war zu viel! »Wenn es euch Vergnügen macht, mich zu demütigen, dann tut es, Heiliger Vater!«
Alessandro Farnese beobachtete unsere Auseinandersetzung zufrieden lächelnd: Er war auch nicht auf dem Fresko zu sehen!
»Du hast keine Angst davor?«, fragte Julius zornig.
»Nein.«
Er schnappte nach Luft. »Warum nicht?«
»Weil ich keinen Glauben habe, Heiliger Vater. Keinen, den Ihr mir wegnehmen könnt, wie Ihr mir die Bibel aus der Hand reißt. Ich glaube an Gott – Er weiß es! Ob Ihr mir nun die Sakramente vorenthaltet oder nicht – es spielt keine Rolle. Nicht für mich und nicht für Gott.«
» Extra ecclesia nulla salus – es gibt kein Heil außerhalb der Kirche«, donnerte der Papst.
»Kein Heil, aber die Freiheit! Jesus sagte, der Mensch ist nicht für den Sabbat erschaffen, sondern der Sabbat für den Menschen. Ich aber sage Euch: Der Mensch ist nicht für die Kirche da, sondern die Kirche für den Menschen.«
Das Anathema hing wie das Schwert des Damokles über meinem Kopf. Noch ein Wort von mir, und es konnte herabfallen.
»Du verdammter Ketzer!«, brüllte Julius mich an. Er schlug mich mit seinem Stock. Meine Schultern und Arme schmerzten, aber ich wich nicht zurück. Schließlich ließ er seinen Stock sinken. »Redest du so mit deinem Papst?«, brüllte er.
»Jesus entgegnete dem Hohepriester: Wenn es nicht Recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber Recht war, warum schlägst du mich? Johannes Kapitel 18, Vers 23.«
Julius war für einen Augenblick sprachlos.
»Seid Ihr fertig, Giuliano della Rovere?«, fragte ich, als er sich nicht rührte, erneut den Stock gegen mich zu erheben.
Erst verstand er mich nicht, weil der Zorn noch in seinen Ohren dröhnte. »Wie nennst du mich?«, fauchte er mich an.
»Ich nenne Euch bei Eurem Namen, Signor della Rovere!«
»Warum?«, fragte er verblüfft. Denn er hatte mich noch nicht mit dem Anathema gebannt – noch war er mein Heiliger Vater!
»Weil Ihr gerade aus der Rolle gefallen seid.« Ich ließ ihn stehen und ging nach Hause.
Die Friedensverhandlungen zwischen dem Papst und mir dauerten eine Woche. Giovanni de’ Medici, der zwischen uns zu vermitteln versuchte, verzweifelte fast. Wir einigten uns schließlich darauf, dass ich die Figurengruppe des goldenen Reiters mit dem am Boden liegenden Heliodor von der Mitte des Freskos in die rechte Bildhälfte verschob und am linken Rand eine neue Gruppe einfügte: Papst Julius auf der Sedia Gestatoria, der das dramatische Geschehen im Tempel verfolgte.
Die Sturmwolken
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