Der Fürst der Maler
Holzschemeln an der Werkbank Platz genommen, als hätten sie sich zu einem Gastmahl an der Festtafel des Principe eingefunden. Ein platonisches Symposion – das war diese Zusammenkunft.
Baccio zog mich durch die Werkstatt, um mich den anderen vorzustellen. »Das ist Raffaello aus Urbino. Er wird heute Abend mit uns diskutieren.«
Taddeo nickte mir vom Ende der Tafel zu.
»Raffaello, das ist Giuliano da Sangallo. Er ist der Architekt, der die halbe Stadt auf dem Gewissen hat. Er ist der Schöpfer und Vernichter von Florenz«, erklärte Baccio.
Giuliano war ein Gebirge von einem Mann. Trotz seiner beinahe sechzig Jahre traute ich ihm ohne weiteres zu, einen Marmorblock zur Werkbank zu tragen und ihn mit seinen Händen zu bearbeiten. Immerhin hatte er es geschafft, den tobenden Michelangelo zurückzuhalten.
»Baccio hat Recht! Ich habe ganze Stadtviertel abgerissen und neu errichtet. Ich freue mich, dich wiederzusehen, Raffaello«, sagte er mit einem spöttischen Augenzwinkern, als habe er das nicht von mir erwartet. Seine Stimme dröhnte wie das ferne Donnergrollen eines Gewitters über den Bergen.
»Ihr kennt euch?« Baccios eisblaue Augen sahen Giuliano fragend an.
»Wir haben uns heute Mittag kennen gelernt, Baccio, auf der Piazza della Signoria«, erklärte Antonio, die jüngere Kopie von Giuliano. »Raffaello hat Michelangelos Seelenruhe auf dem Gewissen. Er hat es gewagt, die Art und Weise zu kritisieren, wie Michelangelo dem Marmor mit dem Punktiereisen eine Seele einhämmert.«
Antonio da Sangallo stellte sich mir als der Militärarchitekt von Florenz vor. Er und sein Bruder Giuliano waren beide Schüler des großartigen Architekten Donato Bramante aus Urbino. Ihrer beider Neffe Bastiano da Sangallo, wie ich einundzwanzig Jahre alt, war mein Freund und Mitschüler in Pietro Peruginos Bottega in Perugia.
Baccio grinste und zog mich weiter. »Das ist Andrea Contucci del Monte Sansovino, Bildhauer und Architekt. Und Ingenio. So bezeichnet er sich jedenfalls selbst. Ihm fehlt es nur an einem, um wirklich ein Genie zu sein: an der Bescheidenheit.«
Andrea Sansovino war zehn Jahre älter als ich. Seine schulterlangen dunklen Haare waren im Nacken mit einem Band zusammengehalten. Sein Leinenhemd war nur nachlässig geschnürt. Er war als Architekt in Portugal gewesen und hatte sich vor drei Jahren im Wettstreit mit Michelangelo um den Marmorblock der Wollgilde beworben, aus dem der David entstanden war.
Dass ich Niccolò Machiavelli nicht sofort erkannte, lag daran, dass er seine lange Staatsrobe mit einer einfachen Tunika vertauscht hatte. Er trug die Haare kurz geschnitten wie ein römischer Senator. Ich war erstaunt, den Sekretär der Republik in dieser Runde zu treffen. Dem Protokoll entsprechend, verneigte ich mich.
Er nickte mir zu. »Du kennst mich als Signor Machiavelli. Hier bin ich Niccolò, der Schriftsteller.«
»Schriftsteller?«, fragte ich verunsichert.
»Ich schreibe eine Abhandlung über Staatsführung.«
»Und wenn Niccolò sein Buch Il Principe erst beendet – falls es jemals fertig wird –, wird es dicker sein als Platons Politeia. Und ebenso umfassend«, erklärte Baccio. »An manchen Abenden quält er uns mit Vorlesungen über Zufall und Notwendigkeit. Niccolò ist ein Meister des Wortes. Er könnte sogar Sokrates zur Verzweiflung treiben.«
»Der Titel lautet Il Principe ?«, fragte ich verwirrt.
»Ich habe es Cesare Borgia gewidmet. Die Ähnlichkeit mit anderen Personen ist allerdings nicht ganz unbeabsichtigt«, gestand Niccolò Machiavelli mit einem sarkastischen Seitenblick auf Taddeo, der in Florenz nur Il Principe genannt wurde.
»Ein Schriftsteller ist auch nur ein Handwerker!«, rief Taddeo in das Gelächter der Anwesenden hinein. »Er benutzt seine Worte wie einen Hammer. Mit gezielten Schlägen führt er seine Leser dorthin, wo er sie haben will.«
»Du hast Recht, Taddeo«, lachte der Mann neben Niccolò Machiavelli. Er war wohl dreimal so alt wie ich und hielt sich sehr aufrecht. »Keine Artisti , sondern Artigiani sind wir alle! Wie unser Schöpfer!
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Dann kamen die Architekten, um die Welt niederzureißen und neu zu errichten. Gott formte den ersten Menschen aus Staub. Die Bildhauer erschufen den Menschen neu – dieses Mal aus Marmor. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen. Wir Maler hauchten ihm eine Seele ein.« Er streckte mir nach französischer Sitte die Hand entgegen. »Ich bin Alessandro di Mariano Filipepi.
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