Der Fürst der Maler
Kopfsteinpflaster der Straße geriet das Gerüst ins Schwingen und drohte die Statue zu zerbrechen.
»Steh nicht herum wie ein unbehauener Marmorblock! Fass mit an, oder geh aus dem Weg!«, brüllte mich einer der Männer an, der ganz vom Marmorstaub überzuckert war, als hätte er noch vor einer Stunde den Stein poliert.
Ich sprang zur Seite und fasste eines der herabhängenden Seile, um das Gerüst mit der Skulptur auf die Piazza della Signoria zu ziehen. Hunderte von Zuschauern folgten uns, als wir um die Straßenecke bogen.
Während die gigantische Marmorfigur vor der Signoria mit einem Holzkran vom Wagen gehoben und auf einen Sockel gestellt wurde, hockte ich wenige Schritte entfernt auf der Marmorbank der Loggia dei Signori und wischte mir mit dem Ärmel den Schweiß aus dem Gesicht.
Der Dunkelhaarige brüllte seine Kommandos wie ein Condottiere während der Schlacht: »Vorsichtig! Seht ihr nicht, dass er zu schwingen beginnt? Antonio! Giuliano! Wollt ihr zwei Jahre Arbeit vernichten?«
Mit dem Handrücken wischte er sich den Marmorstaub aus der Stirn.
Sein Schöpfer hatte in seinem Gesicht den einen Schlag verhauen: den, der ihm die Nase brach. Vielleicht weil der Stein, den er als Werkstoff wählte, zu hart war. Und damit zu zerbrechlich. Seine Hände waren blutig vom Polieren des Steins. Sein offenes Leinenhemd hatte seit der letzten Wäsche die Farbe von Marmorstaub aus Carrara angenommen. Er hockte neben mir auf den Stufen wie ein Gladiator, der nur durch den Kampf und in der Auseinandersetzung mit sich selbst und anderen das Leben in sich spürt.
Die über acht Ellen hohe Figur stand, in Decken gehüllt, vor der Signoria. Zwei Männer zerrten an den Seilen, und schließlich fielen die Hüllen.
Der David war ein junger Mann von hoch gewachsener, schlanker Statur. Der rechte Arm hing locker neben dem Körper, die kräftige Hand verbarg den Stein. Die erhobene linke Hand umfasste die Schleuder, die über seiner muskulösen Schulter lag. Die Bauchmuskulatur war angespannt, das linke Bein angewinkelt, als würde er jeden Augenblick die Schleuder gegen Goliath schwingen. Das Gesicht! Die Augen! Dieser David war so anders als die Bronzehelden von Donatello und Verrocchio, die nur wenige Schritte entfernt standen. Dieser David war zornig. Er war ein Gigant. Und er war gewalttätig. Aber er war kein Sieger.
»Wer hat den David aus dem Stein befreit?«, fragte ich atemlos.
»Ich!«, sagte der Mann neben mir schroff. Er rollte sich die Hemdsärmel herunter, ohne den Blick von seiner Skulptur zu lassen. »Ich habe ihn erschaffen.«
»Er ist großartig! Erhabene Menschlichkeit, gequält von innerer Spannung …«, begann ich. »Ein Retter, ein Erlöser! Wie viel von dem, was du sagen wolltest, konntest du in ihm ausdrücken? In seiner Haltung, seinen Händen, seinem Gesicht?«
Der Dunkelhaarige sah mich verdutzt an. »Diese Frage haben mir weder Giuliano noch Antonio da Sangallo gestellt. Und die verstehen den Marmor.« Er deutete auf die beiden Männer, die am Kran arbeiteten.
Der Bannerträger Piero Soderini hatte die Ankunft des David vom Fenster seines Audienzsaales aus beobachtet. Er war die Treppe herabgestiegen und umrundete mit einem kleinen Gefolge von Ratsherren den David, um ihn von allen Seiten zu betrachten. Er winkte, und der Dunkelhaarige sprang auf, um zu ihm hinüberzugehen und die Bezahlung für zwei Jahre Arbeit entgegenzunehmen.
Doch dem kurzsichtigen Gonfaloniere gefiel die Nase des David nicht. Sie sei unproportional. Das Argument des Künstlers, der kritische Betrachter stehe direkt unterhalb der Figur und habe deshalb keine richtige Ansicht der Proportionen, ließ Soderini nicht gelten. Also kletterte der Scultore mit Hammer, Schlageisen und einer Hand voll feinem Sand zum Polieren auf das Gerüst, um dem David die Nase zu richten.
Ich verstand damals nicht viel von der Bildhauerei, aber die beinah zärtlichen Schläge, die er ausführte, konnten unmöglich so viel Marmorstaub aufwirbeln, wie zu Boden rieselte! Er ließ den Quarzsand durch die Finger rinnen, ohne die Nase mit dem Schlageisen überhaupt zu berühren! Vom Gerüst herunter fragte er den wartenden Bannerträger: »Und nun?«
»So gefällt er mir viel besser! Du hast ihn lebendig gemacht!«, freute sich Soderini. Er reichte dem Künstler den Lorbeerkranz aus vergoldeter Bronze hinauf, der fortan den David schmücken sollte. Der Scultore befestigte den Lorbeerkranz an den Locken des Giganten und sprang vom Gerüst,
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