Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fürst der Maler

Der Fürst der Maler

Titel: Der Fürst der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
Vom Netzwerk:
über Shen Gua oder mein Interesse an der chinesischen Malerei dachte.
    »Entschuldige, ich vergaß, dass dich die Malerei langweilt, Buonarroti. Du bist ja Bildhauer! Im Sommer las ich in Urbino ein interessantes Werk aus dem maurischen Cordobà. Weißt du, warum der Prophet Mohammed den Muslimen die Darstellung des Menschen verbot? Aus Mitleid mit den Künstlern, denn am Tage des Gerichtes wird Allah den Malern und Bildhauern befehlen, allen Figuren, die sie darstellten, das Leben zu geben.
    Stell dir vor, Buonarroti, du müsstest deinen David zum Leben erwecken! Der arme Junge würde an seinen Zweifeln zu Grunde gehen und am Ende seinen Schöpfer verleugnen.«
    Michelangelos Blick ließ mich frösteln.
    Taddeo verbarg seine zuckenden Mundwinkel hinter seinem gefüllten Weinglas. Ihm schien die Auseinandersetzung zwischen Michelangelo und mir Vergnügen zu machen.
    Giuliano da Sangallo ergriff das Wort, als er das Schweigen bei Tisch nicht mehr ertragen konnte: »Bevor der Kampf der Arcangeli Michael und Raphael mit Feuer und Schwert entbrennt, bevor Agonie und Ekstase in der bildenden Kunst Einzug halten, sollten wir Michelangelo zuerst nach unserer Tradition taufen.«
    »Das ist eine gute Idee!«, rief Baccio und erhob sich.
    Giuliano und Antonio da Sangallo und Andrea Sansovino zogen den protestierenden Michelangelo von seinem Schemel und führten ihn einige Schritte in die Dunkelheit der Bottega. Baccio hatte unterdessen einen Bottich herbeigeschleppt, der für das Anrühren von Gips für Modelle benutzt wurde.
    Baccio tauchte seine Hand in das kalte Wasser und machte das Zeichen des Kreuzes über Michelangelo. »Ich taufe dich im Namen der Kunst, der Schönheit und des heiligen Ehrgeizes. Amen!« Mit diesen Worten schüttete er den Eimer Wasser über Michelangelo aus.
    Taddeo beugte sich grinsend zu mir und flüsterte. »Wir taufen ihn jedes Mal, wenn er eine Skulptur vollendet hat. Denn er
hat während der Arbeit alles vergessen: Gott, die Menschen, sogar sich selbst. Wir waschen ihn, denn er ist staubig vom Marmor.«
    Giuliano und Andrea hatten raue Decken ergriffen, in die der Marmor über Nacht gewickelt wurde, um vor den Strahlen des Mondes geschützt zu werden, und rieben sein Gesicht und seine Hände, als wollten sie Marmor glätten.
    Michelangelo ließ die Zeremonie seiner Taufe mit stoischer Gelassenheit über sich ergehen. Tropfnass kehrte er mit Giuliano, Antonio und Andrea an den Tisch zurück und ließ sich auf seinen Sitz fallen. »Und was ist mit dir, Santi? Bist du schon getauft?«, lästerte er.
    Baccio zog mich hoch und führte mich einige Schritte vom Tisch weg. In der Hand hielt er ein Gefäß mit roter Farbe. Er tauchte einen Finger in das Rot und machte das Zeichen des Kreuzes über meinem Kopf. »Raffaello Santi, ich taufe dich im Namen des Schönen, Guten und Wahren! Möge dein Pinsel dieselbe Treffsicherheit und dieselbe Aufrichtigkeit haben wie deine Worte!« Dann kippte er mir die purpurrote Farbe über die Kleidung.
    Lachend kehrten wir an den Tisch zurück, und ich ließ mich auf meinen Schemel fallen.
    Michelangelo reichte mir mit einem feinen Lächeln seine Hand über den Tisch, die ich zögernd ergriff.
    Diese Hand war es, die mich wie seinen David aus dem Stein befreite. Kein Mensch hat mich so geformt wie Michelangelo.
    Jeder seiner Schläge war schmerzhaft.
    Dabei litt er mehr als ich.

Kapitel 3
Der Spiegel im Spiegel
    N ach dem opulenten Frühstück, das ich im Speisesaal des Palazzo in Anwesenheit von einigen Bediensteten allein zu mir nahm, da Taddeo und Baccio noch schliefen, bewaffnete ich mich mit Kohle, Rötel und Silberstift sowie einem neuen Skizzenbuch und machte mich auf den Weg zum ›Rand des bekannten Universums‹. So nannte Taddeo Leonardos Werkstatt im Konvent der Kirche Santa Maria Novella.
    Ungeduldig wartete ich, bis der Torwächter das große Portal für mich öffnete, das für die Nacht geschlossen worden war. Der Palazzo Taddei war eine ebenso uneinnehmbare Festung wie der Palazzo Medici auf der gegenüberliegenden Seite der Via San Gallo.
    Vor dem Haus saßen bereits die ersten Besucher auf der Marmorbank und warteten geduldig auf ihren Einlass in das Allerheiligste der Banca Taddei: Taddeos Kontor. Der Principe schien es mit der Tradition Cosimo und Lorenzo de’ Medicis zu halten, die sich an manchen Tagen mit ihren Freunden und Geschäftspartnern auf den Marmorbänken vor dem Palazzo Medici niedergelassen hatten, um über Politik zu diskutieren und

Weitere Kostenlose Bücher