Der Fürst der Maler
mitleidig lächelnd über den Gonfaloniere, der den Kunstverstand eines Pferdeknechtes hatte.
»Donatellos Judith dort drüben ist das Symbol für den Sieg über die Tyrannei! Über die Herrschaft der Medici! Dein David ist mehr: Er ist das Wahrzeichen der republikanischen Freiheit und Unabhängigkeit!«, rief Soderini begeistert.
Die Bemerkung des Bannerträgers ließ mich lächeln. David hatte nach dem Sieg über die Philister und seiner Thronbesteigung ein Königreich gegründet. Keine Republik. Und der goldene Lorbeerkranz erinnerte mich eher an Caesar als an die römische Republik.
Der Erschaffer des David kam mitleidig grinsend zu mir herüber. Auch er kannte das Alte Testament offenbar besser als Soderini.
»Dein David hat die Seele eines Kriegers«, sagte ich, als er sich neben mich setzte, um die vierhundert Fiorini in der Geldbörse zu zählen, die Piero Soderini ihm übergeben hatte. »Gegen wen kämpft er?«
»Gegen die Unwissenheit!«, war die unbehauene Antwort.
»Ich dachte: gegen sich selbst. Sieh genau hin! Er zweifelt.«
»Das tut er nicht!«, begehrte der andere auf.
»Sieh doch die Falten auf seiner Stirn. Er weiß, dass er ein Geschöpf Gottes ist, und doch zweifelt er an seiner eigenen Göttlichkeit. An seiner Stärke. Du hast viel von dir selbst in ihn hineingemeißelt, Michelangelo. Körper und Geist, Marmor und Idee sind nicht im Einklang. Er hat viel von dir. Er ist zornig.«
» Ich werde gleich zornig!«, brüllte Michelangelo, sprang auf und ballte seine Fäuste, um auf mich loszugehen.
Giuliano und Antonio da Sangallo traten zwischen uns. »Du musst Raffaello Santi sein«, sprach mich Antonio an. »Baccio d’Angelo hat uns heute Morgen von dir erzählt, als wir ihn auf der Baustelle von Santo Spirito trafen. Du bist erst ein paar Tage in Florenz, und schon prügelst du dich mit Michelangelo!«
»Ich wollte sehen, ob es wahr ist, was man sich über ihn und seinen Freund Torrigiani erzählt, der ihm im Streit die Nase gebrochen hat. Wenn Michelangelo mit Menschen nur halb so gut umgehen könnte wie mit dem Marmor, wäre er nicht nur ein hervorragender Künstler, sondern auch ein liebenswerter Mensch.« Ich erhob mich von der Marmorbank der Loggia.
»Pass auf, was du sagst, Raffaello! Die Athener haben Sokrates für feinsinnigere Bemerkungen umgebracht«, lachte Giuliano da Sangallo und zog den tobenden Michelangelo mit sich fort.
Bis zum Abend, bis zum Treffen mit Baccio in seiner Werkstatt, hatte ich noch Zeit. Und so schlenderte ich zur Piazza del Duomo, um mir die größte Kirche der Christenheit anzusehen und um in den unzähligen Buchläden in der Straße der Buchhändler zu stöbern. Das Buch, das ich mit nach Florenz genommen hatte, Apuleius’ Metamorphosen mit dem darin enthaltenen Märchen von Amor und Psyche war verloren.
Nur der im Bau befindliche Dom von Mailand war größer als die ewige Baustelle von Santa Maria del Fiore. Vor wenigen Jahren hatten die Florentiner damit begonnen, die Außenfassade aus Marmorplatten anzubringen, doch erst das untere Drittel der Fassade war vollendet. Teile des Domes waren unter einem riesigen Holzgerüst verborgen, das dem Gotteshaus das Aussehen einer Arche aus weißem Marmor gab, mit Takelage und Masten, unter dem geblähten Segel von Brunelleschis Kuppel.
Ich wandte mich nach rechts und wanderte langsam um die Apsis herum, um einen Blick auf die Kuppel zu werfen, die mit ihren neunzig Ellen Basisdurchmesser und über zweihundert Ellen Höhe die Dimension der ägyptischen Pyramiden zu haben schien.
Hinter der Kathedrale fand ich Donatellos Bottega, die jetzt von einem anderen Bildhauer betrieben wurde. Nur ein paar Schritte entfernt war die improvisierte Werkstatt, wo Michelangelo seinen David aus dem Marmor befreit hatte.
Vor der Taufkapelle San Giovanni blieb ich stehen, um Ghibertis berühmtes Bronzeportal zu betrachten, das Michelangelo für prächtig genug befunden hatte, die Pforten des Paradieses zu schmücken, und das seit jenem Tag Paradiestor genannt wurde. Von Donatellos Prophetenfiguren in den Nischen des Campanile fertigte ich Kohlezeichnungen an.
Neben dem Hauptportal des Domes saß auf einem Marmorsims eine junge Frau und las in einem Buch. Das Mädchen, kaum sechzehn Jahre alt, bemerkte mich nicht, so sehr war sie in ihre Lektüre vertieft. Mit Kohlestift und Papier setzte ich mich neben sie auf eine Steinbank und begann sie mit schnellen Strichen zu skizzieren. Das entspannte Antlitz der jungen Frau dem
Weitere Kostenlose Bücher