Der Fürst der Maler
hat.
Was ist die Liebe?
Liebe ist die Freundschaft zu Francesco, die sich dem Sturm des Schicksals entgegenstellt. Sie ist Treue und Ergebenheit.
Sie ist die Menschlichkeit meinen Feinden gegenüber: Verstehen und Vergeben.
Sie ist Selbstachtung.
Und unerschütterlicher Glaube.
Liebe ist Verstehen ohne Worte. Sie ist die Achtung vor der Unverletzlichkeit des anderen. Sie ist die Verehrung meines geliebten Michelangelo.
Liebe ist die erotische Hingabe an Eleonora. Sinnlichkeit und Lust. Agonie und Ekstase.
Und meine Liebe zu Felice? Sie ertrug alles, glaubte alles, hoffte alles, hielt allem stand.
Mein Stift fliegt über das Papier des Skizzenblocks auf meinen Knien und holt eine Idee aus den Tiefen an die Oberfläche des weißen Blattes. Ich zeichne Amor – mich selbst. Er schwingt sich hinauf in den Himmel. Er sieht sich um, ob irgendjemand ihm folgen kann …
Ein Schatten fällt über das Blatt, und ich sehe auf.
Vor mir steht Felice. Wie ein Engel scheint sie über dem Boden zu schweben: Die Last ihrer Ehe mit Gian Giordano Orsini ist von ihr genommen. Ihr Kleid besteht aus Himmel und Wolken, und ihr offenes Haar ist leuchtender Sonnenschein. So habe ich Felice noch nie gesehen: Sie ist glücklich! Denn zum ersten Mal in ihrem Leben ist sie frei. Und doch: Da ist etwas in ihren Augen, der Schatten eines Gefühls. Ein inneres Ringen?
»Du suchst noch ein Modell für die letzte Szene des Märchens von Amor und Psyche? «, fragt Felice und deutet auf den Skizzenblock auf meinen Knien.
»Ja.«
»Hast du dich schon entschieden, wie das Ende aussehen soll?«
»Nein.«
Sie ist enttäuscht. Das geprobte Finale gestern in den Stanzen hatte ihr gefallen. Ein Schatten der Verzweiflung huscht über ihr Gesicht – wie gestern, als ich gestand, dass ich verheiratet bin. Die Frage, die ihr die Seele verbrennt, stellt sie nicht. Hat sie Angst davor? Sie ringt mit sich, dann holt sie tief Atem: »Aber du hast sicherlich schon ein paar Entwürfe gemacht.«
»Ja, das habe ich.«
»Kann ich sie sehen?«, fragt sie.
Ich nehme ihre Hand und gehe mit ihr durch den Garten zur Loggia, wo die Kartons bereits von Raffaellino auf das Gewölbe übertragen waren. Er wird morgen mit der Freskierung beginnen – sobald die letzte Skizze vollendet ist …
Das Gewölbe der Loggia wird durch gemalte Girlanden mit Blumen und Früchten, die sich von einem leuchtend blau gemalten Himmel abheben, in eine luftige Pergola verwandelt – Agostino hatte amüsiert gelacht, als ich seine Villa mit Amors Palast verglich. An der Decke der Loggia sind zwei große Bilder als aufgespannte Segel gemalt. Die einzelnen Kapitel des Märchens von Amor und Psyche werden in den Seitenfeldern des Gewölbes gezeigt.
Schweigend betrachtet Felice die Bilder am Himmelsgewölbe. Meine Hand lässt sie nicht los.
Ich deute auf eine Szene an der Seitenwand: »Das Märchen beginnt mit dieser Szene: Amor und Psyche sehen sich zum ersten Mal. Dort oben, in der Szene darüber – sie spielt im Himmel, deshalb ist sie näher am Gewölbe gemalt –, sieht Aphrodite, wie Amor und Psyche sich verlieben. Sie deutet nach unten und gibt einem Himmelsboten den Befehl, die beiden zu trennen.«
Wir gehen einen Schritt weiter. Felice zeigt auf die nächsten Episoden: »Die drei nackten Musen: Das sind Violetta, Eleonora und Fioretta. Und das bin ich mit meinem Vater.«
»Psyche vertraut sich dem Göttervater Zeus an«, erkläre ich. »Sie fragt ihn, den in der Liebe Erfahrenen, was sie tun soll, um Amor zurückzugewinnen.«
»Glaubst du, dass mein ›Unheiliger Vater‹ mir einen Rat gegeben hat?«, fragt Felice lachend.
»Das glaube ich. Denn sieh nur, wie erstaunt Amor in der nächsten Szene ist.« Ich deute nach oben auf Amor, der zwischen Himmel und Erde schwebt. Zwischen Paradies und Inferno.
»Warum sieht Amor so verwirrt aus, Raffaello? Er scheint betroffen zu sein.«
»Er weiß nun, dass er einen Sohn hat.«
Felice geht weiter und zieht mich hinter sich her. »Welche Episode zeigt diese Szene?«, fragt sie, nach oben deutend.
»Psyche muss die Aufgaben lösen, die die Liebesgöttin ihr gestellt hat, um Amor wiederzubekommen«, erkläre ich.
»Ich nehme an, dass Psyches Ähnlichkeit mit der Sappho im Elysion nicht zufällig ist?«
Ich lächele. »Nein.«
Wir gehen an weiteren vorgezeichneten Entwürfen an den Wänden unterhalb des Gewölbes vorbei: Amors Leiden, sein Ringen mit der Liebesgöttin, sein Triumph über sich selbst.
Die letzte Lünette ist
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