Der Fürst der Maler
ist jedes Dogma überflüssig. Und jedes Konzil, das über das Dogma streitet.«
»Aber wie kann der Mensch wissen, was er glauben soll?«, fragte Giovanni.
»Lass es ihn selbst herausfinden«, forderte ich.
So wie ich es herausgefunden hatte: indem er jeden Weg geht. Als ersten den Weg der Liebe und der Toleranz …
Der Papst starrte mich an. »Das ist aber nicht der wahre Grund, nicht wahr?«
»Nein, Giovanni. Der wahre Grund ist, dass ich nicht zum Priester geweiht werden kann.«
»Warum nicht?«
»Weil ich vor Gott verheiratet bin.«
Es war still geworden in der Stanza. Ich war mir der uneingeschränkten Aufmerksamkeit aller sicher.
Eleonora sah mich überrascht an. Eleonora und ich waren ein Paar gewesen, bevor sie Francesco geheiratet hatte. Ich war der Mann, den sie liebte, nicht Francesco!
In Felices Augen sah ich Tränen funkeln. Tränen der gescheiterten Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft. Sie hatte ihren Gemahl Gian Giordano Orsini überredet, sich Lorenzino de’ Medici anzuschließen, um mit mir ungestört ein paar Monate in Rom zu verbringen. Sie hatte unseren Sohn mitgebracht, damit ich ihn endlich kennen lernen konnte. Und nun diese überraschende Offenbarung, dass ich verheiratet war!
Felice wich meinem Blick aus und wandte sich ab. Sie erinnerte sich an die vor wenigen Minuten geprobte letzte Szene des Märchens von Amor und Psyche. Sie hatte sich in mir getäuscht! Trotzig wischte sie sich die Tränen aus den Augen und warf mir einen zornigen Blick zu. Doch bevor sie aus der Stanza fliehen konnte, betrat ein Schweizer Gardist den Raum und drängte sich durch die Reihen der Gäste.
Vor Papst Leo fiel der Schweizer auf die Knie: »Euer Heiligkeit! Eine Nachricht von Eurem Neffen Lorenzino de’ Medici! Urbino ist gefallen und ohne große Verluste erobert worden.«
Herzog Francesco stand wie zur Schneeskulptur erstarrt im Raum. Urbino war von Lorenzino de’ Medici erobert worden! Und er, der Herzog von Urbino, war nicht dort gewesen, um seine Stadt zu verteidigen. Er war in Rom, im Vatikan. Er war seinen Feinden in die Falle gelaufen.
Ich war ebenso entsetzt wie Francesco. Ich hatte meinen Freund unwissentlich nach Rom gelockt. Weil Giovanni ihm das Ehrenwort gegeben hatte, dass ihm nichts geschehen würde.
Der Bote fuhr fort: »Lorenzino de’ Medici hat Urbino mit zwanzigtausend Söldnern erobert. Die Stadt hat erbittert Widerstand geleistet, bis Euer Neffe wie abgesprochen mit dem Interdikt drohte. Urbino ist wieder ein Lehen der Kirche, Heiliger Vater.«
Francesco wollte auf Giovanni losgehen, aber ich trat zwischen die beiden. Ich sah den Papst an, und er antwortete mir, ohne dass ich eine Frage gestellt hätte:
»Nur weil ich kein Wort mit Niccolò Machiavelli spreche, heißt das nicht, dass ich seinen Principe nicht gelesen habe, Raffaello! Ein sehr intelligentes Buch übrigens. Intelligenter als der Mann, der es geschrieben hat«, sagte Giovanni, als er mich einfach zur Seite schob. Er wandte sich an den Herzog von Urbino, der hinter mir stand: »Francesco della Rovere! Wir erklären Euch für abgesetzt. Ihr seid nicht mehr Herzog von Urbino und Präfekt von Rom! Das Vermögen der della Rovere wird eingezogen. Der neue Herzog von Urbino heißt Lorenzino de’ Medici.«
»Werdet Ihr mich hinrichten, Euer Heiligkeit?«, knirschte Francesco.
»Nein, Signor della Rovere! Ich habe Euch sogar das Leben gerettet. Denn wenn Ihr in Urbino geblieben wäret, hätte mein Neffe Lorenzino seinen Spaß mit Euch gehabt. Ich habe Euch mein Ehrenwort gegeben und mich für Eure Sicherheit verbürgt – ich habe nicht gesagt, wo Ihr sicher sein werdet. Aber als ehemaliger Präfekt von Rom dürftet Ihr mir zustimmen, dass die Engelsburg einer der sichersten Orte nicht nur in Rom, sondern in ganz Italien ist. Weder könnt Ihr hinaus, noch kann Lorenzino hinein, um Euch umzubringen.«
»Dann wird die Mordanklage also nicht fallen gelassen?«, fragte ich entsetzt.
»Der Prozess wegen des Mordes an Kardinal Alidosi wird morgen stattfinden«, erklärte Giovanni entschlossen. »Unter meinem Vorsitz.«
Francesco hatte seinen Dolch gezogen. Wollte er allen Ernstes auf den Papst losgehen? Oder wollte er sich gegen die Schweizer Gardisten wehren, die in die Stanza drängten, um ihn festzunehmen und in die Engelsburg zu bringen? Er warf Papst Leo einen vernichtenden Blick zu und stürmte los.
Er floh aus der Stanza, um sich in Sicherheit zu bringen. Eleonora zog er hinter sich her.
Taddeo sah ihm
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