Der Fürst der Maler
« Papst Leo drehte sich zu den Gästen um. Das Gemurmel der Gespräche verstummte, als er die Hand hob. » Fratres carissimi! Exzellenzen und Signori! Wir alle sind heute hier – im Vatikan – zusammengekommen, um einen Mann zu ehren, den wir als unseren Freund bezeichnen. Wir haben uns tagelang den Kopf zerbrochen, welche Rede wir halten wollen, um ihm unsere Reverenz zu erweisen und unsere Liebe zu zeigen! Wir haben uns herausgeputzt mit weißen und purpurfarbenen Soutanen, mit Atlas, Samt und Seide, um einen Mann zu ehren, der zu seiner eigenen Feier wegen seiner Verantwortung als Baumeister von San Pietro beinahe zu spät gekommen wäre.« Giovanni machte eine rhetorische Pause, als einige der Gäste zu lachen begannen. »Und Raffaello? Er trägt schlichte schwarze Seide, wie immer. Aber nicht die Soutane, die er als Monsignore tragen sollte. Wir befürchten, dass er denkt, das Violett stehe ihm nicht, denn er hat die Soutane seit Unserer Krönung vor fünfzehn Monaten nur ein einziges Mal getragen: als sein Freund Paris de Grassis Kardinal wurde.« Giovanni deutete auf Paris, der hinter mir stand.
Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass Paris eine große Schachtel in Händen hielt.
»Nach reiflicher Überlegung, was Wir, der Papst, einem Mann schenken sollen, der schon alles hat und der ständig erklärt, dass Wir ihn mit überflüssigen Präsenten verschonen sollen, haben Wir Uns entschlossen, ihm ein praktisches Geschenk zu machen: eine neue Soutane!«
Während die Gäste sich über den Einfall des Papstes amüsierten, nahm Giovanni Paris de Grassis die Schachtel aus der Hand.
»Und Wir haben Uns für eine Farbe entschieden, die Raffaello nach Unserem berufenen Urteil besser steht als das langweilige Violett.« Giovanni öffnete die Schachtel und zog schwungvoll eine Soutane hervor. »Die Farbe Purpur.«
Alessandro Farnese war blass geworden. Er starrte mich hasserfüllt an. Und auch Rafaele Riario war nicht besonders glücklich über die Entscheidung des Papstes.
»Wir ernennen Raffaello Santi zum Kardinal.« Giovanni wandte sich zu mir um. »Du wirst Erzbischof von Urbino und Kardinallegat für Urbino, Ferrara und Mantua.«
Mein Onkel Bartolomeo hätte sich über meine Ernennung zum Kardinal mehr gefreut als ich. Wie war Giovanni nur auf eine so unsinnige Idee gekommen, mich zu einem Papabile zu machen? Hatte er den Verstand verloren? Nein, ganz im Gegenteil.
Ich sah ihm ins Gesicht und erkannte, dass er entschlossen war. Er brauchte Freunde und Verbündete im Konsistorium der Kardinäle. Und er brauchte einen verlässlichen Erzbischof in Urbino, der Herzog Francescos Ehrgeiz beherrschen konnte und zudem das Vertrauen des Herzogs hatte. Mit einem Wort: Giovanni brauchte mich.
Ich sah Francescos Überraschung. Damit hatte er nicht gerechnet, als ich ihn bat, nach Rom zu kommen. Und ich sah sein zufriedenes Lächeln. Mit mir als Kardinal glaubte er gegen den Papst eine Chance zu haben, sein Herzogtum behalten zu können. Er nickte mir unmerklich zu: ›Nimm die Purpursoutane!‹
»Ich will nicht«, sagte ich laut und deutlich.
Augenblicklich verstummte das überraschte Gemurmel in der Stanza.
Giovanni, der noch immer die Purpursoutane im Arm hielt, wandte sich zu mir um. »Was hast du gesagt?«, fragte er ungläubig. Widerspruch von seinen Kardinälen war er offensichtlich nicht gewohnt.
Kardinal Farnese grinste zufrieden über meine unerwartete Entscheidung.
Herzog Francesco war das Lächeln vergangen. Sein Blick sagte mir: ›Nimm das Amt an, Raffaello! Werde Erzbischof von Urbino! Werde Kardinal! Kehre zurück nach Urbino und hilf mir …‹
»Ich sagte nein«, wiederholte ich lauter als beabsichtigt. Alessandros höhnisches Lächeln machte mich wütend.
»Warum nicht?«, fragte Giovanni.
»Weil ich, statt wie Alessandro Farnese durch Intrigen Macht über andere auszuüben, lieber mich selbst beherrsche. Weil ich als Kardinal vom langen Sitzen im Konsistorium und von der Kriecherei Probleme mit dem aufrechten Gang bekommen würde – so wie Rafaele Riario …«
»Im Konzil kannst du deine feurigen Reden im Stehen halten«, versprach mir der Papst schlagfertig.
»Nein, Giovanni. Das werde ich nicht tun. Ich werde ihnen nicht meine Wahrheit aufzwingen, damit meine Wahrheit zum Dogma erhoben wird. Nichts würde sich ändern, wenn eine Wahrheit durch eine andere ersetzt wird. Ich glaube an die Freiheit des Menschen. Er kann glauben, was er will. Wenn ihm diese Freiheit zugestanden wird,
Weitere Kostenlose Bücher