Der Fürst der Skorpione
den Kesselwagenscheiß hier. Da oben ist nur ein schmaler Steg, an der linken Seite mit einem niedrigen Geländer gesichert.«
Tabea bemerkte, dass Danielle öfter in ihre Richtung sah. Das war wohl eine kleine Speziallektion für sie. Vor Björn hatte er mehr Respekt, weil der ihn schon einmal mit einem Messer bedroht hatte.
»Wir können da nicht laufen, sondern nur auf Knien robben. Ihr bleibt zusammen und haltet euch immer an dem Geländer fest, klar? Los geht’s.«
Er kletterte als Erster die Leiter hoch, dann kam Nick, dann Tommi, dann Tabea und Björn, dann Fedor, Ghazwan und ein Typ, dessen Namen sich Tabea immer noch nicht merken konnte, weil er nie was sagte. Die Leiter wirkte so zerbrechlich. Als Tabea auf dem Dach des Kesselwagens angekommen war, stockte ihr der Atem. Aus ihrer Perspektive sah es aus, als kniete sie gerade auf einer überdimensionalen Wurst, die an einer Schnur befestigt war und ziemlich schnell über die Straße gezerrt wurde. Der Kessel war riesig, und sie schätzte, dass sie sich auf seinem Rücken gut sieben Meter über dem Erdboden befand. Er rauschte viel zu schnell vorbei. Vor sich sah sie Tommis geduckten Schatten, der sich langsam an dem Geländer entlanghangelte. Hinter sich wusste sie Björn und die anderen. Sie blockierte den Steg, sie hielt den Verkehr auf. Okay, dachte sie sich und begann auf den Knien nach vorne zu rutschen. Sie hielt sich so eng ans Geländer, wie es nur ging, und nahm sich fest vor, ab sofort nicht mehr nach unten zu sehen. Sie war so etwa fünf Meter gerobbt, als Tommi vor ihr aufstand. Im Licht der Positionslampen zeichnete sich seine schwankende Silhouette ab. Sie wollte noch was sagen, rufen, eine Warnung, eine Frage, da breitete er seine Arme aus, als seien sie Flügel. Und dann schmierte er ab. Einfach so. Obwohl sie so schnell unterwegs waren, konnte Tabea doch das Geräusch hören, mit dem er unten auf der Straße aufkam: »Wump« machte es, wie bei einem Mehlsack, der aus Versehen feucht geworden war und beim Abtransport vom Gabelstapler fiel. Tabea wurde übel. Sterne tanzten vor ihren Augen. Das Einzige, was sie tun konnte, um nicht selbst abzustürzen, war, sich hinzulegen, flach auf den Bauch, den linken Arm um eine Strebe des Geländers geschlungen. Das Geschrei um sie herum bekam sie gar nicht richtig mit.
»Die zwei bringen uns Unglück«, sagte Fedor. Weil das die allgemeine Stimmung auszudrücken schien, wurde Björn langsam nervös. Er stand neben Tabea mitten in dem Container, in den die Gruppe nach Tommis Absturz eingedrungen war. Tabea hielt den Kopf gesenkt. Sie waren von den Riders umzingelt. »Was heißt hier Unglück?«, sagte Danielle. »Was soll das schon für ein Unglück sein, wenn einer so blöd ist, da oben aufzustehen und die Arme auszubreiten.«
»Wissen wir doch nicht, ob das stimmt, was die Kleine erzählt. Das mit den Armen hat sonst keiner gesehen«, sagte Nick.
Das war nicht gut. Björn hatte Nick eigentlich zu der Fraktion gezählt, die mit ihm und Tabea gut auskam. Und Danielle war vorsichtig geworden, weil er merkte, dass die Stimmung umschlagen konnte, wenn er sich weiter so offen auf die Seite der beiden Fremden stellte. Denk nach, dachte Björn. Lass dir etwas einfallen. »Er war betrunken.«
Diese Stimme hatte Björn noch nie gehört. Es war der Schweigsame, dessen Name er sich bisher nicht hatte merken können. Die Stimme war sehr hell und gehörte doch eindeutig einem Jungen. Eine seltsame Stimme.
»Völlig besoffen«, sagte die Stimme. »Ihr habt das nicht bemerkt, weil er Tricks draufhatte, um seine Fahne zu verbergen. Er wusste ja, dass wir das nicht mögen. Aber gesoffen hat er trotzdem. Aus einem Flachmann.«
»Was ist denn das für eine Scheiße«, sagte Nick wütend. »Tommi säuft sich zu und macht dann vom Kesselwagen den Flattermann? Und wieso? Erzähl das deiner Oma.«
»Ich weiß nicht, wieso!« Die Stimme des Namenlosen klang jetzt auch gereizt. »Ich weiß halt nur, dass er gesoffen hat! Jetzt tut doch nicht so, als wäre Tommi in letzter Zeit normal gewesen!« Das fand Björn jetzt beinahe zum Lachen. Was galt unter den Riders wohl als »normal«?
Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er kauerte sich hin, das rechte Knie am Boden, das linke Bein angewinkelt, den linken Arm stützte er auf dem Knie auf, die Stirn legte er in die Hand. Es war die vorgeschriebene Trauerhaltung für Soldaten der EuroForce. Björn sprach das Abschiedsgebet für gefallene EuroForce-Soldaten. Es handelte von
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