Der Fürst der Skorpione
gewesen? Was würden sie essen? Wo würden sie unterkommen? Wie würden sie leben? Tabea hatte keine Ahnung, aber irgendwie gelang es ihr, über diesen Sorgen einzunicken. Wenige Minuten später wachte sie mit einem Ruck auf, weil die Karawane plötzlich abbremste. Tabea konnte es genau spüren. War das schon der zweite Checkpoint oder die vorgelagerte Röntgenstation? Wenn sie sich nicht täuschte, legt die Karawane jetzt einen Stopp ein, was nach Danielles Auskunft so gut wie nie vorkam. Die Angst kehrte zurück und wurde zur Panik, als Tabea Getrappel hörte, nicht von einem Paar Stiefeln, nicht von zweien, sondern von vielen. Also wimmelte es auf der Karawane nur so von Soldaten. Es gab Geschrei und Aufregung. Tabea war wie gelähmt. In ihren Ohren brauste es. Jeden Moment konnte die Decke weggezogen werden, jeden Moment konnte Tabea geschnappt und mit einem Sack über dem Kopf in einen Gefangenenwagen gesteckt werden.
Aber es geschah nichts dergleichen. Um Tabea herum war es auf einmal still. Ich bin allein, dachte sie. Alle anderen sind entdeckt worden, aber ich aus irgendeinem Grund nicht. Die Karawane fuhr wieder an, erst so langsam, dass sie es kaum spürte, dann immer schneller, bis das vertraute, ohrenbetäubende Gedröhn sie wieder umgab.
Und was jetzt?, fragte sie sich verzweifelt. Sie konnte hier nicht bis zur Ankunft in Tunesien liegen bleiben. Sie musste die Initiative ergreifen, so wie es ihr im Kurs für Allgemeine Lebenspraxis beigebracht worden war und wie es ihr Berater immer verlangt hatte. Es kann sein, dachte sie, dass die BorderForce-Soldaten noch auf der Karawane sind. Aber wenn ich mich einfach tot stelle, bringt das auch nichts. Ich muss wissen, was hier los ist. Sie warf die Decke ab und starrte mit pochendem Herzen ins Nichts. Der Container, in dem sie sich versteckt hatte, erwies sich im Schein ihrer Taschenlampe als völlig leer, von ein wenig Schmutz abgesehen. Draußen, auf dem Umlauf des Containers, fiel ihr vor allem der Geruch auf: Da war natürlich die Maschinen- und Ölmischung der Karawane, aber auch etwas Herberes, Pflanzliches, Steinigstaubiges. Kurz bevor sie die Kupplung zum nächsten Container erreicht hatte, ging ihr auf, dass es der Geruch Afrikas war. Und natürlich, es war viel wärmer als bei ihrer Abreise. Wie lange es schon her zu sein schien! In Wirklichkeit waren keine dreißig Stunden vergangen. Sie sprang hinüber, mittlerweile geübt im Wechsel von Container zu Container. Auch dieser hier, eine alte Rostbeule, die wahrscheinlich schon alles transportiert hatte, was sich überhaupt in Container verpacken ließ, war von den Riders besiedelt worden, das wusste sie. Immer auf der Hut vor einer BorderForce-Patrouille, suchte sie nach dem Einlass in den Container, in der Hoffnung, darin vielleicht Ausrüstungsgegenstände zu ergattern, die bei der Verhaftung der anderen übersehen worden waren. Sie hatte nur, was sie am Leib trug, und ihren Rucksack, sonst nichts. Sie fand den Einlass, der mit den scharfen Miniaturfräsen in die Blechwand des Containers geschnitten worden war, drückte ihn auf und zwängte sich durch. Dann knipste sie ihre Taschenlampe an – und stand inmitten der Riders. Danielle legte sofort einen Finger auf seine Lippen. Björn winkte sie wortlos zu sich her. So leise, wie es ging, setzte sie sich neben ihn. Er begann, in ihr Ohr zu flüstern.
»War eine andere Rider-Gruppe. Alle verhaftet. Wissen nicht, ob BorderForce noch hier. Nicht sprechen. Kein Licht.« Sie hatte die Taschenlampe bereits ausgemacht, schließlich war sie nicht von gestern.
Björn konnte es kaum fassen. Er saß auf dem Dach des Kesselwagens, von dem Tommi abgestürzt war, und sah hinaus auf die Weite des Meeres. Sie waren mittlerweile sicher, dass die BorderForce weg war. Sie hatten also tatsächlich ungeheures Glück gehabt, nur die andere Rider-Gruppe war entdeckt und verhaftet worden. Dass die Karawane danach so schnell weitergefahren war, führte Danielle auf den Container mit dem Wertguttransport zurück. Offenbar musste der um jeden Preis pünktlich ankommen und die BorderForce war einen Kompromiss eingegangen: Festnahme der Störer, die sie erwischen konnte, Stichprobendurchsuchung der restlichen Karawane bei sofortiger Weiterfahrt. Die Theorie wurde gestützt von der Tatsache, dass eine ganze Menge Rettungskapseln fehlten. Diese Kapseln waren an jeder fünften Einheit in der Karawane angebracht, und konnten von den Servicetechnikern und anderen Passagieren im
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