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Der Fürst des Nebels

Der Fürst des Nebels

Titel: Der Fürst des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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eine groteske Figur aus blauem und dampfendem Eis verwandelt, die auf den verlassenen Schienen langsam dahinschmolz. Ein kleines Medaillon an seinem Hals zeigte das Zeichen, das auf Cains Umhang eingeprägt gewesen war, den siebenendigen Stern, umgeben von einem Kreis. Ich blieb bei Angus, bis seine Gesichtszüge sich für immer auflösten, in eine Pfütze aus eiskalten Tränen in der Dunkelheit.
    In derselben Nacht, während ich entsetzt dem Schicksal meines Freundes beiwohnte, wurde Skolimoskis Geschäft durch ein schreckliches Feuer zerstört. Ich habe nie jemandem erzählt, was meine Augen an jenem Tag bezeugt haben.
    Zwei Monate später zog meine Familie in den Süden, weit weg von dort, und im Lauf der Monate fing ich an zu glauben, daß der Nebelfürst nur eine bittere Erinnerung an die finsteren Jahre war, die ich in dieser armen, schmutzigen und grausamen Stadt meiner Kindheit verbracht hatte... Bis ich ihn wiedersah und begriff, daß das nur der Anfang gewesen war.

Kapitel 10
    M eine nächste Begegnung mit dem Nebelfürsten ereignete sich in einer Nacht, in der mein Vater, der inzwischen zum technischen Leiter einer Textilfabrik aufgestiegen war, uns alle auf einen großen Jahrmarkt mitnahm. Er fand auf einer großen Holzmole statt, die ins Meer hineinreichte wie ein vom Himmel herabhängender Kristallpalast. Als es dunkel wurde, spiegelten sich die bunten Lichter der Fahrgeschäfte im Meer. Ich war tief beeindruckt, denn ich hatte niemals zuvor etwas so Wunderschönes gesehen. Mein Vater war in Hochstimmung: Er hatte seine Familie vor einer vermutlich erbärmlichen Zukunft im Norden des Landes gerettet und war jetzt ein Mann in hoher gesellschaftlicher Stellung, angesehen und mit genügend Geld in den Händen, um seinen Kindern fast jedes Vergnügen zu ermöglichen, das sie sich wünschten. Wir aßen etwas zu Abend, und dann gab mein Vater jedem von uns einige Geldstücke, die wir für das ausgeben sollten, was uns am besten gefiel, während er und meine Mutter Arm in Arm flanieren gingen.
    Mich faszinierte ein ungeheuer großes Riesenrad, das sich an einem Ende der Mole unaufhörlich drehte und dessen Widerschein man an der ganzen Küste sehen konnte. Ich rannte zu der Schlange am Riesenrad, und während ich wartete, betrachtete ich aufmerksam eine der Buden, die nur wenige Meter entfernt stand. Zwischen Glückslotterien und Schießbuden beleuchtete ein starkes purpurrotes Licht die geheimnisvolle Hütte eines gewissen Dr. Cain – Wahrsager, Magier und Hellseher, wie eine Tafel verkündete, auf die ein drittklassiger Zeichner Cains Gesicht aufgemalt hatte. Drohend starrte es auf die Neugierigen, die sich dem neuen Schlupfwinkel des Nebelfürsten näherten. Die Tafel und die Schatten, die die purpurne Laterne auf die Bude warf, verliehen ihr ein schauriges und unheilvolles Aussehen. Ein Vorhang mit dem in Schwarz aufgestickten siebenendigen Stern verdeckte den Eingang ins Innere.
    Durch diesen Anblick wie verhext, entfernte ich mich von der Schlange bei dem Riesenrad und näherte mich dem Eingang der Bude. Ich versuchte gerade, durch den schmalen Spalt in das Innere hineinzuspähen, als der Vorhang sich plötzlich öffnete und eine schwarz gekleidete Frau mit milchweißer Haut und dunklen, durchdringenden Augen eine Handbewegung machte, die mich zum Eintreten aufforderte. Im Inneren der Bude konnte ich jenen Mann erkennen, den ich weit weg von diesem Ort unter dem Namen Cain kennengelernt hatte. Er saß beim Licht einer Öllampe hinter einem Schreibtisch, und eine große dunkle Katze mit goldenen Augen putzte sich zu seinen Füßen.
    Ohne lange darüber nachzudenken, trat ich ein und ging auf den Tisch zu, wo der Fürst des Nebels lächelnd auf mich wartete. Ich erinnere mich noch an seine ernste und ruhige Stimme und daran, wie sie meinen Namen sagte. Im Hintergrund erklang die hypnotisierende Drehorgelmusik eines Karussells, das weit, weit entfernt zu sein schien...«
    »Victor, mein guter Freund«, flüsterte Cain. »Wenn ich nicht Wahrsager wäre, würde ich sagen, daß der Zufall unsere Wege erneut vereinen will.«
    »Wer sind Sie?« brachte der junge Victor heraus, während er aus den Augenwinkeln diese gespenstische Frau beobachtete, die sich in den Schatten des Raumes zurückgezogen hatte.
    »Dr. Cain. Das steht auf der Tafel zu lesen«, antwortete Cain. »Amüsierst du dich mit deiner Familie hier?«
    Victor schluckte und nickte.
»Das ist gut«, fuhr der Magier fort. »Das Vergnügen ist wie

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