Der Fürst des Nebels
Nacht äußerten einige der Straßenjungen ihre Wünsche vor Cain. Als alle fertig waren, richtete Cain seinen Blick aus eisiger Kälte in den Winkel, wo mein Freund Angus und ich uns befanden. Er fragte uns, ob wir nichts zu bitten hätten. Ich blieb stumm wie ein Fisch, aber zu meinem Erstaunen begann Angus zu sprechen. Sein Vater hatte an diesem Tag seine Arbeitsstelle verloren. Die Gießerei, bei der ein Großteil der Erwachsenen des Viertels beschäftigt war, entließ gerade viele ihrer Arbeiter und ersetzte sie durch Maschinen. Die ersten, die auf die Straße geschickt wurden, waren die aufmüpfigsten Anführer unter den Arbeitern gewesen. Angus' Vater hatte schlechte Karten in diesem Spiel.
Durch seine Entlassung war es ihm auf einen Schlag unmöglich geworden, Angus und seine fünf Geschwister durchzubringen, die sich in einem ärmlichen und modrigen Backsteinhaus drängten. Mit dünner Stimme richtete Angus seine Bitte an Cain: daß sein Vater wieder in der Gießerei eingestellt werden solle. Cain nickte. Er ging, so wie man es mir vorhergesagt hatte, wieder in den Nebel und verschwand. Am folgenden Tag wurde Angus' Vater auf unerklärliche Weise wieder zur Arbeit geholt. Cain hatte Wort gehalten.
Zwei Wochen später kehrten Angus und ich nachts nach Hause zurück, nachdem wir einen Jahrmarkt besucht hatten, der sich in einem Vorort der Stadt niedergelassen hatte. Um uns nicht übermäßig zu verspäten, beschlossen wir, eine Abkürzung zu nehmen und einer alten, verlassenen Zugstrecke zu folgen. Wir liefen im Mondschein durch diese unheimliche Gegend, als wir aus dem Nebel eine Silhouette auftauchen sahen. Sie war in einen Umhang gehüllt, auf den ein siebenendiger Stern in einem Kreis golden eingeprägt war, und ging in der Mitte des toten Gleises auf uns zu. Es war der Fürst des Nebels. Wir blieben versteinert stehen. Cain näherte sich uns und wandte sich mit seinem gewohnten Lächeln an Angus. Er erklärte ihm, daß der Augenblick gekommen sei, in dem er ihm den Gefallen erwidern müsse. Angus nickte, sichtlich entsetzt. Seine Bitte sei einfach, sagte Cain, es ginge um eine kleine Abrechnung. Zu jener Zeit war der reichste Mann im Viertel, im Grunde der einzige Reiche überhaupt, Skolimoski, ein polnischer Händler, dem das Lebensmittel- und Kleidergeschäft gehörte, in dem die ganze Dorfgemeinde einkaufte. Angus' Auftrag war es, in Skolimoskis Geschäft Feuer zu legen. Die Arbeit sollte in der folgenden Nacht verrichtet werden. Angus versuchte zu protestieren, aber die Worte erreichten nicht seine Kehle. Cains Blick machte sehr deutlich, daß er nicht bereit war, etwas anderes außer absolutem Gehorsam zu billigen. Der Magier ging, wie er gekommen war.
Wir rannten los, und als ich Angus an seiner Haustür stehenließ, flößte mir der Blick des Entsetzens in seinen Augen große Angst ein. Am folgenden Tag suchte ich ihn auf den Straßen, aber es war keine Spur von ihm zu entdecken. Ich begann zu befürchten, daß mein Freund Cains verbrecherischen Auftrag tatsächlich ausführen wollte, und beschloß, bei Einbruch der Nacht vor Skolimoskis Geschäft Wache zu stehen. Angus tauchte nicht auf, und das Geschäft des Polen brannte in dieser Nacht nicht. Ich fühlte mich schuldig, weil ich an meinem Freund gezweifelt hatte. Das Beste, was ich nun für ihn tun konnte, war wohl, ihn zu beruhigen. Denn wie ich ihn kannte, hatte er sich vermutlich zu Hause versteckt, ängstlich zitternd vor der Rache des gespenstischen Magiers. Am folgenden Tag ging ich zu ihm nach Hause. Angus war nicht dort. Mit Tränen in den Augen sagte mir seine Mutter, daß er die ganze Nacht nicht dagewesen sei, und sie flehte mich an, ihn zu suchen und wieder nach Hause zu bringen.
Voller Angst lief ich kreuz und quer durch das Viertel, ohne auch nur einen einzigen von seinen stinkenden Winkeln bei meiner Suche auszulassen. Niemand hatte ihn gesehen. Gegen Abend, als ich erschöpft war und nicht mehr wußte, wo ich noch suchen sollte, befiel mich eine dunkle Ahnung. Ich kehrte zu dem Pfad der alten Zugstrecke zurück und folgte der Spur der Schienen, die in der Dunkelheit schwach unter dem Mond leuchteten. Ich mußte nicht weit gehen. Ich fand meinen Freund, auf dem Schienenstrang ausgestreckt, an eben der Stelle, wo zwei Nächte zuvor Cain aus dem Nebel aufgetaucht war. Ich wollte seinen Puls fühlen, aber als ich seinen Körper berührte, spürten meine Hände keine Haut, sondern Eis. Der Körper meines Freundes hatte sich in
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