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Der Fürst des Nebels

Der Fürst des Nebels

Titel: Der Fürst des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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denn ich hätte nicht einmal gewußt, wo anfangen mit Erklären. Wie es in solchen Fällen am vernünftigsten ist, ließ ich einfach Zeit verstreichen.
    Es ging uns gut in unserer neuen Heimat, und ich lernte bald einen Menschen kennen, der mir sehr half. Es handelte sich um einen Geistlichen, der den Mathematik- und Physikunterricht in der Schule hielt. Er ermutigte mich, gründlich zu lernen, und führte mich in die Mathematik ein. Es ist kein Wunder, daß meine Neigung zu den Naturwissenschaften nach einigen Jahren unter seiner Anleitung immer deutlicher hervortrat. Zuerst wollte ich seinem Weg folgen und mich der Lehre widmen, aber der Geistliche wusch mir ordentlich den Kopf und sagte zu mir, daß ich zur Universität gehen, Physik studieren und der beste Ingenieur werden solle, den das Land je gesehen habe. Entweder das, oder er würde auf der Stelle mit mir brechen.
    Er war es, der mir das Stipendium für die Universität verschaffte und mein Leben auf den richtigen Weg brachte. Er starb eine Woche vor meinem Universitätsabschluß. Ich schäme mich nicht, zu sagen, daß mich sein Tod genausosehr geschmerzt hat wie der meines eigenen Vaters, oder vielleicht sogar noch mehr. In der Universität freundete ich mich mit jemandem an, der mich erneut mit Dr. Cain zusammenbringen sollte: einem jungen Medizinstudenten, der aus einer äußerst reichen Familie stammte und Richard Fleischmann hieß. Es war eben jener zukünftige Doktor Fleischmann, der Jahre später das Haus am Strand erbauen sollte.
    Richard Fleischmann war ein hitziger junger Mann, der sehr zu Übertreibungen neigte. Er war daran gewöhnt, daß sein ganzes Leben lang die Dinge genau so gelaufen waren, wie er es sich gewünscht hatte, und wenn aus irgendeinem Grund etwas seine Erwartungen durchkreuzte, wurde er zornig auf die ganze Welt. Eine Laune des Schicksals machte uns zu Freunden: Wir verliebten uns in dieselbe Frau. Eva Gray, die Tochter des unerträglichsten und tyrannischsten Chemieprofessors der Universität.
    Zu Beginn gingen wir drei gemeinsam aus und machten sonntags Ausflüge, wenn das Scheusal von Theodore Gray es nicht verhinderte. Das erstaunlichste an dem Fall ist, daß Fleischmann und ich - weit davon entfernt, uns in Rivalen zu verwandeln - zu unzertrennlichen Gefährten wurden. Jede Nacht, wenn wir Eva zur Höhle des Scheusals zurückbrachten, machten wir den Rückweg gemeinsam, in dem Bewußtsein, daß früher oder später einer von uns beiden im Abseits landen würde.
    Bis dieser Tag kam, verbrachten wir die beiden besten Jahre, an die ich mich in meinem Leben erinnere. Aber alles hat ein Ende. Das Ende unseres unzertrennlichen Trios kam am Abend der Zeugnisvergabe. Auch wenn ich alle nur vorstellbaren Lorbeeren erlangt hatte, war ich wegen des Verlustes meines alten Betreuers am Boden zerstört. Eva und Richard, die meinen Trübsinn mit allen Mitteln verjagen wollten, beschlossen, daß sie mich in dieser Nacht berauscht machen müßten, obwohl ich normalerweise nicht trank. Es versteht sich von selbst, daß das Scheusal Theodore den Plan aufdeckte, und so bestand die Abendgesellschaft am Ende aus Fleischmann und mir alleine. Sternhagelvoll saßen wir in einer widerlichen Kneipe und verbrachten unsere Zeit ausschließlich damit. Eva Gray, das Objekt unserer unmöglichen Liebe, zu preisen.
    Als wir in dieser Nacht zum Universitätsgelände zurückschwankten, schien in der Nähe des Bahnhofs ein Jahrmarkt aus dem Nebel aufzutauchen. Überzeugt davon, daß eine Karussellrunde genau die richtige Kur für unseren Zustand wäre, gingen Fleischmann und ich auf den Jahrmarkt und landeten schließlich bei der Baracke von Dr. Cain Wahrsager, Magier und Hellseher, wie die unheimliche Tafel noch immer verkündete. Fleischmann hatte eine scheinbar geniale Idee. Wir würden hineingehen und den Wahrsager bitten, daß er uns das Rätsel enthülle: Wen von uns beiden würde Eva wählen? Trotz meiner Verwirrung war ich noch genügend bei Verstand, um nicht selbst einzutreten, es blieb mir jedoch nicht die Kraft, meinen Freund zurückzuhalten, der sich entschlossen in die Baracke stürzte.
    Ich vermute, daß ich daraufhin das Bewußtsein verlor, denn ich kann mich nicht an die darauffolgenden Stunden erinnern. Als ich mit furchtbaren Kopfschmerzen wieder zu mir kam, lagen Fleischmann und ich auf einer alten Holzbank ausgestreckt. Der Tag brach gerade an, und die Buden des Jahrmarkts waren verschwunden. Es war, als ob diese ganze Welt aus Lichtern,

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