Der Fürst des Nebels
Laudanum; es erhebt uns über das Elend und den Schmerz, wenn auch nur flüchtig.«
»Ich weiß nicht, was das ist, Laudanum«, erwiderte Victor.
»Eine Droge, mein Freund«, antwortete Cain matt und lenkte den Blick auf eine Uhr, die auf einem Bücherbord zu seiner Rechten stand. Victor kam es so vor, als ob ihre Zeiger rückwärts gingen.
»Die Zeit existiert nicht, deshalb darf man sie nicht verlieren. Hast du schon darüber nachgedacht, was dein Wunsch ist?«
»Ich habe keinen einzigen Wunsch«, erwiderte Victor.
Cain lachte laut auf.
»Komm schon, komm schon. Jeder von uns hat nicht nur einen, sondern Hunderte von Wünschen. Und das Leben bietet uns allzu selten die Gelegenheit, sie in Wirklichkeit zu verwandeln.« Cain blickte mit mitleidiger Miene zu der geheimnisvollen Frau. »Nicht wahr, meine Liebe?«
Die Frau antwortete nicht, und Victor schien es, als sei sie ein bloßer lebloser Gegenstand.
»Aber es gibt einige, die Glück haben, Victor«, sagte Cain, indem er sich über den Tisch beugte, »solche wie dich. Denn du kannst deine Träume in Wirklichkeit verwandeln, Victor. Du weißt schon, wie.«
»Wie Angus es getan hat?« stieß Victor hervor, der gerade etwas Sonderbares bemerkt hatte, das er nicht aus seinen Gedanken vertreiben konnte: Cain blinzelte nicht, nicht ein einziges Mal.
»Ein Unfall, mein Freund. Ein bedauerlicher Unfall«, sagte Cain, wobei er einen bekümmerten und bestürzten Tonfall annahm. »Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß Träume sich in Wirklichkeit verwandeln, ohne daß man etwas als Gegenleistung dafür bieten müßte. Meinst du nicht, Victor? Sagen wir mal so, das wäre nicht gerecht. Angus wollte gewisse Verpflichtungen vergessen, und das ist nicht zulässig. Aber was vorbei ist, ist vorbei. Sprechen wir von der Zukunft, von deiner Zukunft.«
»Ist es das gleiche, was Sie auch gemacht haben?« fragte Victor. »Einen Wunsch in Wirklichkeit verwandeln? Sich in das verwandeln, was Sie jetzt sind? Was mußten Sie als Gegenleistung tun?«
Cain legte sein Schlangenlächeln ab und starrte Victor an. Der Junge fürchtete einen Augenblick lang, der Mann würde sich auf ihn stürzen und ihn in Stücke reißen. Doch schließlich lächelte Cain wieder und seufzte tief, »Du bist ein intelligenter junger Mann. Das gefällt mir, Victor. Trotzdem hast du noch viel zu lernen. Wenn du bereit bist, komm wieder hierher. Du weißt schon, wie du mich findest. Ich hoffe, dich bald wiederzusehen.«
»Das bezweifle ich«, antwortete Victor, richtete sich auf und ging zum Ausgang zurück.
Wie eine Marionette, an der man eine Schnur gezogen hatte, kam die Frau aus der Dunkelheit hervor und begleitete Victor nach draußen. Einige Schritte vor dem Ausgang ertönte Cains Stimme erneut hinter seinem Rücken.
»Noch eins, Victor. Ich respektiere den, der Wünsche hat. Denk daran. Das Angebot steht. Und wenn es dich nicht interessiert - vielleicht hält ein anderes Mitglied deiner prächtigen und glücklichen Familie irgendeinen schändlichen Wunschtraum verborgen. Die sind meine Spezialität...«
Victor hielt sich nicht damit auf zu antworten und trat wieder in die frische Nachtluft hinaus. Er atmete tief ein und lief mit schnellem Schritt, um seine Familie zu suchen. Während er sich entfernte, erklang hinter ihm als Karussellmusik verschleiert das falsche Lachen von Dr. Cain wie das Heulen einer Hyäne.
Max hatte dem Bericht des Alten bis zu dieser Stelle gebannt zugehört. Er hatte es nicht gewagt, auch nur eine einzige der tausend Fragen zu stellen, die in seinem Kopf herumspukten. Victor Kray schien seine Unruhe zu spüren und zeigte mit erhobenem Finger auf ihn.
»Geduld, junger Mann. Alle Stücke werden zu ihrer Zeit zusammengefügt werden. Unterbrechen verboten. In Ordnung?«
Obwohl diese Ermahnung an Max gerichtet war, nickten auch die anderen beiden.
»Gut, gut...« murmelte der Leuchtturmwärter vor sich hin und fuhr mit seiner Geschichte fort.
»In jener Nacht beschloß ich, diesem Individuum für immer aus dem Weg zu gehen und zu versuchen, jeden Gedanken aus meinem Geist auszulöschen, der sich auf ihn bezog. Und das war nicht leicht. Wer auch immer er war, Dr. Cain hatte die seltene Fähigkeit, sich an einen zu klammern wie einer dieser Holzsplitter, die um so tiefer in die Haut eindringen, je mehr man versucht, sie herauszuziehen. Ich konnte mit niemandem darüber reden, wenn ich nicht wollte, daß man mich für einen Verrückten hielt, und ich konnte mich nicht an die Polizei wenden,
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