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Der Fürst des Nebels

Der Fürst des Nebels

Titel: Der Fürst des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Lärm und Menschengedränge in der Nacht zuvor eine bloße Täuschung unserer durch den Alkohol benebelten Sinne gewesen wäre. Wir richteten uns auf und betrachteten den verlassenen Platz rings um uns herum. Ich fragte meinen Freund, ob er sich an irgend etwas in der vorhergehenden Nacht erinnere.
    Fleischmann dachte angestrengt nach und sagte dann zu mir, er habe geträumt, er sei in die Baracke eines Wahrsagers eingetreten und habe auf die Frage, was sein größter Wunsch sei, geantwortet, daß er sich wünsche, die Liebe von Eva Gray zu gewinnen. Dann lachte er und scherzte über den prächtigen Kater, von dem uns beiden der Schädel brummte, überzeugt davon, daß nichts von all dem wirklich geschehen war.
    Zwei Monate später heirateten Eva Gray und Richard Fleischmann. Sie luden mich nicht einmal zur Hochzeit ein. Ich habe sie in fünfundzwanzig langen Jahren nicht wiedergesehen.
    An einem regnerischen Wintertag folgte mir ein Mann, der in einen Regenmantel eingehüllt war, von meinem Büro bis zu mir nach Hause. Vom Fenster aus konnte ich sehen, daß der Fremde noch immer unten war und mich beobachtete. Ich zögerte einige Sekunden lang und ging dann hinunter auf die Straße, entschlossen, den geheimnisvollen Spion zu entlarven. Es war Richard Fleischmann, zitternd vor Kälte. Sein Gesicht war mit den Jahren faltig geworden, und seine Augen waren die eines Mannes, der sein ganzes Leben lang als Verfolgter gelebt hatte. Ich fragte mich, seit wie vielen Monaten mein alter Freund wohl nicht mehr schlafen konnte. Ich ließ ihn in die Wohnung hinaufkommen und bot ihm einen heißen Kaffee an. Ohne mir ins Gesicht zu sehen, begann er von jener längst vergessenen Nacht vor vielen Jahren zu sprechen, als er in der Baracke des Dr. Cain gewesen war.
    Ich fragte ihn ohne Umschweife, was Cain von ihm verlangt habe dafür, daß er seinen Wunsch in Wirklichkeit verwandelte. Mit von Angst und Beschämung gezeichnetem Gesicht kniete Fleischmann vor mir nieder und flehte mich unter Tränen um meine Hilfe an. Ich kümmerte mich nicht um sein Wehklagen und verlangte, daß er mir antworten solle. Was hatte er Dr. Cain zum Lohn für seine Dienste versprochen?
›Meinen ersten Sohn‹, antwortete er mir ›Ich habe ihm meinen ersten Sohn versprochen...‹ Fleischmann gestand mir, er habe seiner Ehefrau ohne ihr Wissen jahrelang eine Droge verabreicht, die verhinderte, daß sie ein Kind bekam. Im Lauf der Jahre war Eva Fleischmann jedoch in eine tiefe Depression gestürzt, und weil der so sehr herbeigewünschte Nachwuchs ausblieb, hatte sich die Ehe der Fleischmanns in eine Hölle verwandelt. Fleischmann befürchtete, daß Eva, wenn sie kein Kind bekäme, bald verrückt werden oder in eine so tiefe Traurigkeit sinken würde, daß ihr Leben langsam verlöschen würde, wie eine Kerze ohne Luft. Er sagte mir, er habe niemanden sonst, an den er sich wenden könne, und er flehte um meine Vergebung und meine Hilfe. Schließlich versprach ich, ihm zu helfen, aber nicht um seinetwillen, sondern wegen des Bandes, das mich noch immer mit Eva vereinte, und in Erinnerung an unsere alte Freundschaft. In dieser Nacht warf ich Fleischmann aus meiner Wohnung hinaus, aber mit einer ganz anderen Absicht, als es der Mann, der einmal mein Freund gewesen war, ahnte. Ich folgte ihm im Regen und durchquerte die Stadt auf seinen Spuren. Ich fragte mich selbst, warum ich das tat. Der bloße Gedanke daran, daß Eva, die mich zurückgewiesen hatte, als wir beide noch jung waren, ihren Sohn an diesen niederträchtigen Hexenmeister ausliefern sollte, drehte mir den Magen um und war mir Grund genug, erneut Dr. Cain gegenüberzutreten, auch wenn meine Jugend schon verflogen war und mir immer bewußter wurde, daß ich vielleicht übel zugerichtet aus dem Spiel herausgehen würde.
Tatsächlich führten mich Fleischmanns Wege zu dem neuen Zufluchtsort des Nebelfürsten. Ein Wanderzirkus war jetzt sein Heim, und zu meinem Erstaunen hatte Dr. Cain seinen Titel des Wahrsagers und Hellsehers aufgegeben und eine andere Persönlichkeit angenommen. Jetzt war er ein Clown, der mit weiß und rot bemaltem Gesicht agierte, doch seine Augen mit ihrer wechselnden Farbe hätten selbst durch Dutzende von Schichten aus Schminke seine wahre Identität verraten. Cains Zirkus trug den Stern mit den sieben Enden ganz oben an einer Fahnenstange, und der Magier hatte sich nun mit einer unheimlichen Kohorte von Spießgesellen umgeben, die unter dem Äußeren von fahrenden Schaustellern

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